Die Romantik – Das fehlende Puzzlestück im historischen Bewusstsein

Was ist „Romantik“?

Wenn wir den Begriff „Romantik“ hören, denken wir vielleicht zunächst an ein Abendessen bei Kerzenschein, an Filme wie „Titanic“ oder einen gelungenen Heiratsantrag im Abendrot. Wir denken an unsere Liebsten, an grüne Wälder, an einsame Inseln. „Romantisch“ sind für uns Situationen, Menschen, Szenen oder Orte. Befragen wir den Duden, was „romantisch“ bedeutet, dann finden wir im zweiten Eintrag eine Definition, die dieses unbestimmte Gefühl beschreibt:

„a) gefühlsbetont, schwärmerisch; die Wirklichkeit idealisierend […]
b) von einer das Gemüt ansprechenden [geheimnisvollen, gefühlvollen] Stimmung malerisch, reizvoll“

(Duden: romantisch)

Sehen wir jedoch genauer nach, entdecken wir als erste und somit ursprünglichere Bedeutung folgende:

„1. zur Romantik (1) gehörend, sie betreffend“

Duden: romantisch)

Was ist nun aber mit „Romantik“ gemeint? Laut dem Duden ist „Die Romantik“ ist eine

„Epoche des europäischen, besonders des deutschen Geisteslebens vom Ende des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, die in Gegensatz steht zu Aufklärung und Klassik und die geprägt ist durch die Betonung des Gefühls, die Hinwendung zum Irrationalen, Märchenhaften und Volkstümlichen und durch die Rückwendung zur Vergangenheit“

(Quelle)

Der folgende Ausschnitt soll diese knappe Definition des Dudens abrunden:

„Die R[omantik] lebte aus der Sehnsucht nach der Vereinigung mit dem Unendlichen; alle festen, begriffl[ichen] Umrisse wurden aufgelöst, die Grenzen zwischen Traum u. Phantasie u. Wirklichkeit aufgehoben. In einer mystischen Unruhe wurden die Verbindungen zwischen Geist u. Natur, Endlichem u . Unendlichem, Ich u. All, Geschichte u. Gegenwart gesucht.“

(Lit. Quelle 1)

Der gemeinsame Nenner zwischen der historischen Epoche der „Romantik“ und dem schwärmerisch-idealisierenden Empfinden, das wir heute mit dem Begriff „romantisch“ verbinden, ist die Betonung des Gefühls. Auch in der geschichtlichen Umwälzung, die vor allem in Deutschland als „Romantik“ bezeichnet wird, ging es darum, das Subjekt, die und den Einzelnen, seinen und ihren Wert und die Wichtigkeit des Empfindens, des Gefühls in den Mittelpunkt zu Rücken. Kinder der Romantik sind, wie der Name schon nahelegt, der „Roman“, aber auch das „Märchen“, die frühe Fantasy-Literatur, sogar die Idee des Nationalstaats, die Entdeckung der Volksidentität, die Vorläufer demokratischer Strukturen und die philologischen Disziplinen der Germanistik, der Literatur- und der Geschichtswissenschaften. Man könnte die deutsche Romantik als Nachbeben der französischen Revolution sehen, die mit einiger Verspätung und den Erfahrungen dieser turbulenten Epoche die Geschichte Deutschlands ja ganz Europas maßgeblich geprägt hat.

Kurze historische Einordnung

Je nach dem, ob man die Romantik aus literaturwissenschaftlicher, kunstgeschichtlicher oder rein historischer Perspektive betrachtet, lassen sich unterschiedliche Zeiträumen für diese Epoche benennen. Grob gesagt beginnt sie jedoch mit dem Ende der französischen Revolution (1789-1799) und endete mit der deutschen Revolution (1848), wobei sie bis in die Werke der Moderne nachhallt. Zur Zeit der französischen Revolution beobachtete ganz Europa die dortigen Vorgänge mit großer Erregung. Viele Intellektuelle sympathisierten mit dem Befreiungsschlag vom Absolutismus und hofften auf ein neues Zeitalter des Geistigen ohne religiöse Bevormundung und dogmatische Engstirnigkeit. Zu ihnen gehörten unter anderen Hölderlin, Novalis und Tieck, die ihre Erfahrungen jener Zeit in großen Werken niederschrieben, mit denen sich Schülerinnen und Schüler bis heute herumschlagen müssen.

Als dann die Revolutionäre allzu großzügig von der Guillotine Gebrauch machten und die Ideale der Aufklärung, die von vielen großen Denkern jener Zeit getragen wurden, sich zunehmend pervertierten, machte sich große Enttäuschung unter den Romantikern breit. Intellektuelle, die damals humanistische Ideale beförderten, sahen sich darin getäuscht, ihr Menschheitsideal würde mit Abschüttelung der Ketten der Adelsherrschaft verwirklicht werden. Stattdessen entbrannte große Gewalt. Machtgierige Menschen füllten das entstandene Machtvakuum, das die abgesetzte Aristokratie hinterließ, schnell aus. Nicht nur die gewaltsamen revolutionären Ereignisse sondern auch die intellektuelle Überhöhung des Rationalen, des Objektiven, der wiederbelebten Wissenschaft als Antagonist zur bis dato vorherrschenden Religion ging einigen empfindsamen Geistern zu weit. Aus einem Streben zur Wahrheit, als das sich die Wissenschaften bis heute präsentieren, wurde ein ausgewachsener Kult des Objektiven, des Entmenschlichenden. Die Überzeugung, mit höchstmöglicher Wissenschaftskraft die Geheimnisse der Welt zu lüften, ging einigen großen europäischen Denkern schlicht zu weit.


„Faust. Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei und Medizin,
Und leider auch Theologie!
Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
Da steh ich nun , ich armer Tor!
Und bin so klug als wie zuvor!
Und ziehe schon an die zehen Jahr,
Herauf, herab und quer und krum,
Meine Schüler an der Nase herum –
Und sehe, dass wir nichts wissen können!“

(Goethe: „Faust“ (1808), V. 354 – 364, Quelle)


Goethes Faust steht hier sinnbildlich für die Wissenschaft, für den Menschen, der alleinig mit Intellekt und Analyse die Welt verstehen möchte. Am Ende aller Studien verzweifelt er jedoch, da er zwar vieles gelesen und gelernt hat, aber schließlich erkennt, „dass wir nichts wissen können!“ Darum versucht er sich sogar an Magie und Esoterik und beschwört am Ende dieser Szene den Erdgeist. Als er die Weltenseele erblickt, verliert er beinahe den Verstand. Der Erdgeist ist sozusagen die personifizierte Natur, die er mit seinen wissenschaftlichen Studien zu verstehen versuchte. Und obwohl Faust der klügste Mensch ist, erzittert er bis ins Innerste, als er die große Wahrheit erblickt. Diese Enttäuschung von den realen Ereignissen der Französischen Revolution und der Aufklärung, die dem projizierten Humanismus-Ideal widersprachen, was Dr. Faust in Goethes Drama im Kleinen erlebt, erzeugte zweierlei Wirkung auf die Künstlerinnen und Künstler: Bei einem Teil der Vertreterinnen und Vertretern führten diese Erfahrungen zu einer Verneinung des Realen und trieben sie in die Flucht nach Innen – in das Fantastische, das Wunderbare, das Surreale. Häufig endete dieser Weg in Armut, Melancholie, Weltfremdheit und Isolation, da sie sich nicht an die neue bürgerliche Welt anpassen konnten.

Ein anderer Teil, zu denen auch Goethe gehörte, versuchte zu Lebzeiten eine Art Kompromiss zu finden. Kann man Teil des nun erstarkenden Bürgertums und zugleich Künstler, also empfindsames Wesens sein? Zwar brachte das bürgerliche Zeitalter auf einigen Ebenen persönliche Freiheit, auf der anderen Seite entstand zu dieser Zeit auch der kommerzialisierte Kunstmarkt, der Frühkapitalismus, der von einigen als noch bedrohlicher angesehen wurde. Der Künstler emanzipierte sich zwar von adligen Gönnern, musste sich nun aber den abstrakten Kräften der Märkte andienen:

„Aber auch hier war die allgemeine Lage der Literaten höchst problematisch, auch hier folgte den Hoffnungen die Enttäuschungen und auch hier stieß man schnell an enggezogene Grenzen und mußte die eigene Einflußlosigkeit und Ohnmacht erkennen. Statt an der Gestaltung des öffentlichen Wohls mitwirken zu können, zog man sich notgedrungen aus der Gesellschaft auf sein Kunst zurück und wurde zum Außenseiter. Der Weg in die bürgerliche Öffentlichkeit blieb versperrt, oder er führt nicht nur über die Zensur, sondern – schlimmer noch – über den Markt.“

(Lit. Quelle 2)

Symbole, Gefühle und Natur

Man könnte Bibliotheken darüber füllen, was „die Romantik“ alles ist. Dieser Beitrag ist ein weiterer aussichtsloser Versuch meinerseits, ein solch großes Thema im Rahmen eines Blogbeitrags zu verarbeiten. Darum versteht sich dieser Artikel zum einen als Fortsetzung meines Beitrags „Das Erbe der Aufklärung“ und zum anderen als Versuch – ganz im Geiste der Romantik – ein „Gefühl“ für diese Epoche zu vermitteln. Meiner Ansicht nach ist die Ideenbewegung der Romantik vor allem durch eine Neuverhandlung der Beziehung zwischen Mensch und Natur geprägt. Während die Religion den Menschen als eine Kreatur nach Gottes Ebenbild und die Natur als eine Art Beiwerk versteht, welches vom Menschen nutzbar gemacht wird, ordnet die Wissenschaft den Menschen als in hohem Maße vernunftbegabten Säuger der natürlichen Nahrungskette zu, und verneint zugleich jedwede tiefergreifende Verbindung mit der Welt. Die Romantiker, sowohl von der mit Religion begründeten Willkürherrschaft des Adels, als auch vom wissenschaftsfanatischen Streben nach Objektivität enttäuscht, suchten die Antworten nicht mehr länger im Außen sondern begaben sich aus emotionalem Schutz oder aber Verbitterung ob der Realität auf eine Reise in ihr Inneres, ihr Seelenleben, ihre Gefühle und ihre Empfindungen.

„Der Himmel war rot, die Vögel sangen lustig in allen Wäldern, die Täler waren voller Schimmer, aber in meinem Herzen war es noch viel tausendmal schöner und fröhlicher!“

Eichendorff: Aus dem Leben eines Taugenichts (1826)

Sie wollten die Natur nicht mehr nur als Objekt betrachten, sondern in sie Eintauchen und sowohl mit der mittelalterlichen Angst vor dem dunklen Wald und dem wilden Tier, als auch mit der unterkühlten Distanziertheit der Wissenschaften aufräumen. Damit wurde der Wald zu einem Sehnsuchtsort, die Tiere zu Vorbildern der Freiheit und die Naturgewalten zur Inspirationsquelle, was zu einer Rückbesinnung auf antike Gottesbilder führte, die im Gegensatz zu den Göttern der Buchreligionen noch viel stärker mit Naturkräften assoziiert wurden. Die Literatur und die Kunst waren dabei von Symbolen geprägt. Vor allem in der Lyrik, die das zentrale Ausdrucksmittel der Romantiker war, aber auch in Fabeln und in der bildenden Kunst wurde mit vielen Symbolen gearbeitet, die zwar objektiv beschrieben werden können, doch im Eigentlichen aber sehr subjektiv sind, da sie Spielraum der Interpretation darstellen. Darum fällt es vielen Schülerinnen und Schülern bis heute schwer, den Sinn hinter einer Gedichtinterpretation zu sehen. Zur ihrer Verteidigung: einige Lehrerinnen und Lehrer verstehen das tiefere Wesen der Lyrik meiner persönlichen Ansicht nach ebenfalls nicht, was regelmäßig auf beiden Seiten zur Frustration bei Klassenarbeiten im Fach „Deutsch“ führt.


„Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Sind Schlüssel aller Kreaturen
Wenn die so singen, oder küssen,
Mehr als die Tiefgelehrten wissen,
Wenn sich die Welt ins freie Leben
Und in die Welt wird zurückbegeben,
Wenn dann sich wieder Licht und Schatten
Zu echter Klarheit wieder gatten,
Und man in Märchen und Gedichten
Erkennt die wahren Weltgeschichten,
Dann fliegt vor Einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen fort.“

(Novalis (1802), Quelle)


Der rote Faden der Geschichte

Erst mit meiner persönlichen Recherche zu eben jener Zeit wird mir klar, wie bereits vor mehr als 200 Jahren die Weichen für das gestellt wurden, was wir heute in übersteigertem Extrem wahrnehmen. Erweitere ich den Blick der deutschen Geschichte bis zu jener Zeit, erkenne ich ein deutliches Kontinuum der Geistesentwicklung der europäischen Kultur. Die beiden Weltkriege erscheinen dabei wie schreckliche Geburtsschmerzen einer Zeit, in der die Wirtschaft endgültig zum alles bestimmenden Weltsystem wird. Bereits zu Zeiten der napoleonischen Kriege waren die deutschen Lande, die damals noch in viele kleine Herrschaftsgebiete unterteilt waren, ein Drehkreuz für paneuropäische Militärbewegungen. Während Napoleon Deutschland als Durchzugsgebiet nutzte, konnte Hitler unter anderem auf Grund der geographischen Lage Deutschlands seine Blitzkrieg-Strategie so erfolgreich durchführen.

Mit der Schreckensherrschaft und der unmenschlichen Bluttat Hitlers waren für die Deutschen die Begriffe „Volksidentität“, „Ahnenverehrung“ und „Nationalbewusstsein“ nachvollziehbarerweise verbrannt. All diese Dinge wurden jedoch im Zuge der Bürgerrevolution 1848 erst mit viel Kraft und Anstrengung erkämpft. Die Bürgerinnen und Bürger erstritten sich mit den Revolutionen Freiheiten von Fürsten- und Königshäusern und konnten somit zur eigenständig wirkenden Klasse heranreifen. Die Erfahrungen während der Frühphase der napoleonischen Besatzung weckte zudem in den „Alemannen“ (von „alle Mannen“) den Wunsch nach einer vereinten Nation. Deutschland wurde nicht nur auf Grund seiner günstigen geographischen Lage zu einem großen Machtfaktor, der im Dritten Reich kulminierte. Wie folgendes Video zeigt, war Deutschland im frühen 20. Jahrhundert im wissenschaftlichen und, wie gerade die Ideengeschichte der Romantik zeigte, auch im Bereich der Philosophie in ganz Europa einer der Vorreiter:

In diesem Video sieht man sehr deutlich, wie eine vollständig auf Krieg getrimmte Wirtschaft bei den Kriegsländern Deutschland, Frankreich, England und schließlich den USA wissenschaftliche Erkenntnisse fördert. Krieg ist zwar ein enormer Zerstörungsfaktor. Für viele Sparten der kapitalistisch organisierten Wirtschaft bedeutet Krieg aber vor allem ein Geschäft. Hitler nutzte zudem die Innovationskraft der Deutschen, die vorteilhafte geographische Lage und das starke Nationalbewusstsein, um eine tödliche Kriegs- und Vernichtungsmaschine zu erschaffen. Und eben jene wirtschaftlichen Profiteure nutzten den machtbesessenen Diktator, um die Geschäfte ihres Lebens zu machen. Als der Bogen dann überspannt war, intervenierte die inzwischen konsolidierte Großmacht USA und befreite Europa aus dem Griff der Nazis. Früher wurden Söldner, Ritter und andere Kämpfer mit den Schätzen der Besiegten gelockt worden. Heute sind es Wissen, Technologie und Menschen, die im Falle eines Kriegserfolgs mit in’s Heimatland gebracht werden. Genau dies ist auch nach Kriegsende geschehen:

„Die Operation Paperclip war ein geheimes Programm des US-Geheimdienstes, in dessen Rahmen zwischen 1945 und 1959 mehr als 1.600 deutsche Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker aus dem ehemaligen Nazi-Deutschland in die USA gebracht wurden, um dort nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa für die Regierung zu arbeiten. Sie wurde von der Joint Intelligence Objectives Agency (JIOA) durchgeführt und größtenteils von Spezialagenten des Counterintelligence Corps (CIC) der US-Armee ausgeführt. Viele dieser Mitarbeiter waren ehemalige Mitglieder und einige ehemalige Führer der Nazipartei.“
Übersetzt mit http://www.DeepL.com/Translator (kostenlose Version)

Quelle: Englischsprachige Wikipedia

Wenn man mit diesem Wissen nochmals das oben eingebettete Video ansieht, wird man bemerken, dass mit Ende des Zweiten Weltkriegs die USA zur neuen Führungskraft im wissenschaftlichen Bereich aufsteigt. Natürlich lässt sich diese Entwicklung nicht alleinig auf das Wissen von ein paar hundert Wissenschaftler zurückführen. Auch wirtschaftlich und geopolitisch bedeutete der Zweite Weltkrieg für die USA den Sprung an die Spitze der Welt. Während also das „deutsche Volk“ in der Zeit der Romantik nach französischem Vorbild den Adel entmachtete und selbst zu einer politischen Größe wurde, erlebten wir aus meiner Sicht spätestens mit den Weltkriegen die Entmachtung des gemeinen Volkes – und damit der Politik – zugunsten einer sehr kleinen Gruppe sehr mächtiger Industrieller. Was zunächst als Überwindung der Herrschaft daherkam, entpuppte sich recht schnell als bloßer Herrschaftswechsel, nicht als wahre Ermächtigung des Volkes im Sinne eines Souveränitätsanspruchs, den es nach der Definition einer Demokratie eigentlich hat.

Wie der Blut- durch den Geldadel ersetzt wurde

„Abgesichert in einer Verfassung sollten die Grundrechte der Bürger werden, so lautete die nächste Forderung der Bürgerlichen. Sie sollte Öffentlichkeit statt geheimer Kabinettspolitik als Organisationsprinzip des Staates garantieren (Rede-, Presse-, Versammlungsfreiheit, politisch gleiches Wahl- und Stimmrecht) – Forderungen, die, immer wieder vorgebracht, 1848 schließlich unüberhörbar wurden. Damit sollt der Einfluß der öffentlichen Meinung auf die Staatsführung sichergestellt. werden. Alle solche Prinzipien waren auf Bürger als Menschen schlechthin bezogen; in Wirklichkeit, das zeigte die weitere Geschichte des 19 und des 20. Jahrhunderts, profitierte davon in erster Linie eine kleine Minderheit, deren bürgerliche Autonomie durch Eigentum sozial abgesichert war und die durch Bildung als Folge des Eigentums allein in der Lage war, ihre Interessen wirksam zu vertreten.“

Lit. Quelle 2: S. 193

Es waren also von Beginn an die Besitzenden, – ich nenne diesen Stand den „Geldadel“ – die die aufkeimende Demokratie für sich nutzbar machten. Wie ihm antiken Griechenland war zunächst nur bestimmten Menschen der Zugang zum Wahlsystem gestattet. Mit ersten demokratisierenden Reformen im Jahre 1808 waren nur diejenigen stimmberechtigt, die im Jahr mehr als 150 Taler (in größeren Städten 200 Taler) verdienten (vgl. Lit. Quelle 2: S. 195). Naheliegenderweise waren es immer noch viele Adlige, die genügend Vermögen hatten, um bei der Neubildung der Gesellschaft tatkräftig mitzuwirken. Daneben war es das frühe Großbürgertum, das über Infrastruktur und Geld verfügte, um „ihre Interessen wirksam zu vertreten“. Unternehmen wie Krupp (Gründungsjahr 1811; heute ThyssenKrupp AG), Siemens (Gründungsjahr 1847) oder Bayer (Gründungsjahr 1863) haben bis in die Gegenwart ihre Interessen erfolgreich durchgesetzt. Wie oben bereits erwähnt waren es gerade die Kriege, die solchen Unternehmen zu noch viel größerer Macht verhalfen.

Sowohl Krupp als auch Bayer nutzten in den Weltkriegen Kriegsgefangene und Menschen jüdischer Abstammung als Zwangsarbeiter. Beide Unternehmen stellten sich mit den deutschen Regierungen im Ersten und Zweiten Weltkrieg gut und wurden zu kriegswichtigen Unternehmen. Krupp lieferte Stahl und Maschinen, während Bayer, damals vor allem als Unternehmensverbund IG-Farben (größter Einzelspender bei Hitlers Wahlkampf), Waffen für die chemische Kriegsführung und schließlich auch das Chlorgas für die Konzentrationslager herstellte (Quellen: 1, 2, 3). Erstaunlicherweise wird dies im deutschen Wikipedia-Artikel zu Bayer mit folgendem Halbsatz abgearbeitet:

„Für die Kriegswirtschaft war zur Produktion von Kriegsmaterial chemisches Wissen elementar. So produzierte der Betrieb Stoffe wie Öl- und Schmierstoffe, Kautschuk sowie verschiedene Gase

(Wikipedia – Bayer AG)

Nun könnte man einwenden, dass nach dem Ende der Weltkriege endlich das demokratische Zeitalter ja angebrochen sei. Im Rahmen dieses Artikels kann leider nicht erschöpfend auf diesen Einwand eingegangen werden. Man möge sich aber nur einmal vergegenwärtigen, welche Kriegsverbrechen alleinig die USA in den folgenden Jahrzehnten verübt hat, um erste Anhaltspunkte zu gewinnen, ob der Sieg über den deutschen Nationalsozialismus tatsächlich endlich Frieden, Demokratie und Humanismus gebracht hat.

Verschiedene Listen der Kriegsverbrechen der USA:
Wikipedia (deutsch)
Wikipedia (englisch)
Der Funke.at

und schließlich die Entertainment-Variante davon:

Ich halte dagegen und sage: mit dem Ende der Weltkriege wurde der Nationalstaat mit den Bürgerinnen und Bürgern als Souverän, der als Idee noch nicht sehr alt ist, im Zuge des Neoliberalismus nur mehr als Hindernis angesehen und schließlich machttechnisch ausgehöhlt und überwunden. Nach außen werden Staaten ideologisch immer noch als Identifikationsmittel genutzt, während in Wahrheit Staatsmänner- und -frauen längst von Wirtschaftsinteressen zunächst eingelullt wurden und schließlich zunehmend aus der Privatwirtschaft direkt in entsprechende Positionen gebracht werden. Im 21. Jahrhundert erlebten wir also den Machtwechsel von der Politik zur Wirtschaft. In konventionellen Kriegen war es der Rüstungs- und Maschinenbau-Sektor. Heute haben Hochfinanz, Pharma und Bigtech die Spitze der Pyramide übernommen.

Wer könnte daran zweifeln, wie skrupellos Unternehmen bei all diesen Kriegseinsätzen täglich mitverdienen, wenn Unternehmen wie Bayer und Krupp in Deutschland sogar Sklaven einsetzten, um einen verrückten Diktator wie Hitler bei seinem Vernichtungskrieg gegen andere Länder und vor allem gegen das Volk der Juden zu helfen? Darüber hinaus sind es ja nicht die USA allein, die Kriege führen. Länder wie Saudi Arabien, China, Russland, Frankreich und auch Deutschland stehen ebenfalls auf der Kundenliste all dieser Unternehmen.

Wer könnte noch daran zweifeln, dass unsere gegenwärtige Demokratie, die sich heute stärker denn je auf die von wirtschaftlichen Interessen geprägte Wissenschaft stützt, nicht maßgeblich von verschiedenen sehr reichen und mächtigen Kreisen gelenkt wird, wenn sie bereits in ihren jüngsten Tagen vom wohlhabenden Großbürgertum korrumpiert wurde?

Wer könnte noch daran zweifeln, dass es Menschen gibt, die zu Unmenschlichem im Stande sind, wenn sie dafür aus ihrer Sicht einem höheren Ziel näherkommen können?

Das Wissen darum, wann und wie der Wandel vom feudalen Spätmittelalter zum demokratisch-republikanischen Zeitalter von statten ging, ist essentiell, um unsere heutige Lage zu verstehen. Aus meiner Sicht erleben wir keinen kontinuierlichen Fortschritt von der Unfreiheit zur Freiheit. Die Unfreiheit hat sich transformiert und immer smarter maskiert. Heute ist Lobbyismus für uns Alltag, Manipulationstechniken der Medien sind bekannt, die allgegenwärtige Datenkrake wird per „Alexa“ freiwillig in unsere Wohnungen platziert. Der Zinseszins, der dem einfachen Bürger das Geld aus der Tasche zieht, während die Großkapitalisten ihre Gelder in Steueroasen platzieren, drängt den modernen Menschen in eine neue Form der Leibeigenschaft. Darum spricht beispielsweise die Ökonomin und Politikerin Sahra Wagenknecht heute vom Neofeudalismus. Eine neue herrschende Klasse unterdrückt wieder die Mehrheit, nur dass das Geld den gottgebenen Herrschaftsanspruch ersetzt hat. Die Herrschaft wird nicht einfach mit einer Blutlinie begründet, sondern mit der Erbschaft großer Kapitalmengen.

Ich bin ein Romantiker!

Nicht erst seit den letzten anderthalb Jahr spüre ich, wie sich vieles für mein Verständnis in eine falsche Richtung entwickelt. Mit der Corona-Pandemie scheinen sich jedoch mächtige Interessensgruppe ohne Scham in den Vordergrund zu drängen, wie der Auftritt von Bill Gates in den deutschen Öffentlich Rechtlichen überdeutlich gezeigt hat. Die Nennung von BayerAG und ThyssenKruppAG waren zudem nur Extrembeispiele, um die absolute Geld- und damit Machtgier einzelner Menschengruppen zu demonstrieren. Diese Gier ist so alt wie die Menschheit selbst. Warum sollte sie heute nicht mindestens genauso so da sein, wie vor 100, 200 oder 1000 Jahren? Während wir heute wie selbstverständlich über Studien, Statistiken und Kennzahlen sprechen, als sei dieser pseudowissenschaftliche Smalltalk das neue „über’s Wetter reden“, fühle ich mich zunehmend wie ein Romantiker des 19. Jahrhunderts. Alles und jeder wird gefaktencheckt, Meinungen wissenschaftlich belegt und Haltungen objektiv dargestellt. Der Kampf gegen ein Virus wird absolut gesetzt. Während die Romantiker im 19. Jahrhundert die kalte Betrachtung der Natur, wie sie die Wissenschaften praktizieren, beklagten, sind es eben jene Wissenschaften, die nun sogar zum Kampf gegen die Natur aufrufen!

Jede Maßnahme, die zu diesem Ziel hinführen soll, wird in ihrer Wirksamkeit bis zum Äußersten verteidigt, auch wenn sich die Hinweise dagegen häufen. Jede abweichende Meinung wird als „unwissenschaftlich“ abgekanzelt. Wer dann auch noch anfängt, über das gestörte Verhältnis zwischen Mensch und Natur laut nachzudenken, der wird gleich mit Schlagworten wie „neu-rechter Esoteriker“ oder „anthroposophischer Spinner“ abgeurteilt, obwohl große Geister wie Goethe, Schiller und Lessing, mit denen sich die deutsche Geschichte zu Recht rühmen darf, genau diese Gedanken in ihren Werken, die bis heute Abiturlektüren sind, diskutieren und episch ausbreiten. Inmitten dieses Sturms mit offenen Augen und offenen Ohren zu wandeln, fällt mir zunehmend schwerer. Noch halte ich es mit Goethe, der bis zuletzt nicht in den Pessimismus eines Novalis verfallen war und an seine Ideale glaubte. Die Entwicklungen der letzten Wochen, in der die Freiheit zunehmend zur Exklusivware wird und nun sogar Kinder für einen aus meiner Sicht aussichtslosen Kampf instrumentalisiert werden, während sie vor rund einem Jahr noch für die Bedürfnisse der älteren Generation Opfer bringen mussten und ihre seelische Gesundheit bis heute nicht wirklich interessiert, nagen an meinem Glauben an den Menschen und drohen, mich auf die negative Seite der Romantik zu drängen:
Resignation, Flucht in die Phantasie, Weltschmerz in Isolation und Begraben der humanistischen Idee.

Eule

Immer wieder erwische ich im Gedanken dabei, die Gesellschaft, ja die Welt abzuschreiben und ebenfalls in nihilistischer Egomanie nur meinen eigenen Neigungen nachzugeben. Doch dann besinne ich mich auf meine Überzeugungen und richte mich emotional wieder auf, indem ich mir bewusst mache, dass Veränderung zur Natur der Dinge gehört und wir eben nur begrenzt darauf einwirken können. Wie und wann sich diese Wirkung entfaltet, können wir nicht mit Sicherheit sagen, aber nichtsdestotrotz glaube ich an die Macht des Einzelnen, die großen Geschicke mit beeinflussen zu können. Angesichts der realen Geschehnisse scheint dies eine Flucht in’s Surreale zu sein, ein idealisierender Traum, ein Wunschbild. Nun denn will ich mich gerne in die geistige Tradition der Romantiker stellen und an meinen Idealen festhalten – ganz gleich, wie schlimm die Verhältnisse noch werden mögen!

Ich fordere hiermit vehement eine Rückbesinnung auf humanistische Prinzipien und eine Neuverhandlung der Beziehung zwischen Mensch und Natur!

Sind es nicht doch zeitgemäße Gedanken wie die eines Frank Schätzings, in dessen Roman „Der Schwarm“ der Mensch mit dem unbekannten Naturwesen seinen Frieden schließt? Oder die zahlreichen japanischen Animationsklassiker wie „Prinzessin Mononoke“, in der immer wieder der Mensch mit den Naturgewalten in Konflikt gerät, bis einzelne Außenseiter – Romantiker! – als Botschafter des Friedens und der Versöhnung auftreten? Wo sind die Romantikerinnen und Romantiker, die eben diese fast schon kindlich-naiven Wünsche nach Frieden und Freiheit wieder aussprechen? Haben wir nicht schon zu lange mit Faktengeschacher zugebracht? Wird es nicht langsam Zeit, dass wir uns wieder trauen, unsere Gefühle zu äußern? Lassen wir die Romantik, die in vor all in Deutschland seinen Schoß hat, wieder in unser Leben!


Lit. Quelle 1: „Das moderne Lexikon in zwanzig Bänden (1972). Band 16, Bertelsmann Lexikon-Verlag: Gütersloh, Berlin, München, Wien, S. 31.

Lit. Quelle 2: Lore Häger & Bodo Heimann /1975): Literatur im bürgerlichen Zeitalter. In: Spektrum der Literatur, S. 190-205.


von Marco Lo Voi

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