Gedanken zu: Was ist Religion?

In diesem Beitrag möchte ich kurz meine Auffassung vom Begriff „Religion“ darlegen. Welche Aspekte umfasst er? Und was bedeuten diese für den Menschen?

Natürlich erhebt die nachfolgende Auflistung keinen Anspruch auf universelle Gültigkeit noch auf Vollständigkeit:

I. Religion als Kulturgut

Zum einen ist Religion ein Kulturgut. Jede Kultur überall auf der Erde und zu allen Menschenzeitaltern pflegte irgendeinen Glauben. Viele urzeitliche Monumente, deren Entstehungsgeschichte uns oftmals ein Rätsel ist, zeugen von einem aktiven spirituellen Seelenleben.

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Geistige Konzepte in Stein verewigt zeigen uns, wie sich der Mensch schon immer durch Symbole ausdrückte. In dem Beitrag „Was ist ein „Wort““ habe ich gezeigt, dass unsere Schrift, ebenfalls ein Kulturgut, lediglich eine kodierte Manifestation geistiger Konzepte ist.

In der Beitragsreihe „Drei Große Fragen“ habe ich versucht, mich den vermutlich ältesten Fragen der Menschheitsgeschichte anzunähern, die häufig nur in den verschiedenen Religionen thematisiert werden.

Religion ist also die Summe der von einer Kultur erarbeiteten geistigen Konzepte für Dinge, die mit dem zur Entstehungszeit der Religion vorhandenem Faktenwissen nicht „logisch“ erklärbar war. Dies ist natürlich eine sehr moderne Sichtweise auf die Vergangenheit.

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Viel wahrscheinlicher ist vermutlich jedoch, dass in den Entstehungszeiten der großen Religionen Logik und Spiritualität nicht so weit auseinanderlagen wie scheinbar heutzutage, ja sich vielleicht ergänzt oder gar bedingt haben.

Jedenfalls fanden und finden alle geistig-logischen oder vergeistigten Erkenntnisse Eingang in ein Gesamtkonstrukt, das in einer Religion Ausdruck fand und findet. Religion ist also auch eine bestimmte Form von Sprache.

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II. Religion als Sprache

Jede Religion bedient sich eigener Symbole und eigener Begrifflichkeiten, deren Ursprung ja nur in bereits Vorhandenem wurzeln kann. Deswegen finden sich auch große Ähnlichkeiten zwischen den drei abrahamitischen Religionen, da sie ja schließlich alle auf die präjüdische Mystik zurückgehen.

Es finden sich in verschiedenen Religionen verschiedene Ausdrücke und Metaphern für oftmals ein und denselben Sachverhalt, dieselbe Geschichte, dieselbe Person oder dasselbe Konzept. Religion bietet uns also ein bestimmtes Vokabular für Dinge, die wir nicht immer mit den Begriffen der nüchternen Logik erfassen können – angefangen beim „Gott“-Begriff, bishin zu der Vorstellung des „Danach“.

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III. Religion als Technologie

Verbinden wir nun die Aspekte I. und II., erkennen wir eine Gemeinsamkeit: sowohl Kultur, als auch Sprache unterliegen dem unbeugsamen Zahn der Zeit. Er nagt zwar, aber das heißt nicht zwangsläufig, dass etwas schlechter werden muss.

Hier kommt der Gedanke der Technologie ins Spiel. Eine Technologie unterscheidet sich beispielsweise von einer Sprache oder einem Kulturgut dahingehend, dass die „Entwickler“ – im Falle der Religionen also die geistigen Führer und Lehrmeister – stets bestrebt sind, die Funktionsweise der Technologie, in diesem Falle die Religionen, zu optimieren.

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Natürlich werden jetzt einige denken: „Waaaaaas?!“ Religion steht für viele vor allem für eine konservative Einstellung. Für starres Denken und unveränderliche Traditionen. Dies trifft auch für ein paar Religionen zu.

Wir erleben ja immer stärker, wie sich die Menschen des Westens stets weiter von der christlichen-katholischen Kirche distanzieren, da sie reformfaul und konservativ ausgerichtet ist. Eine Technologie, die veraltet, wird irgendwann ausrangiert.

Allerdings dürfen wir hier nicht den Menschen außer Acht lassen. Die christlich-katholische Kirche mit dem Papst als Oberhaupt ist nichts anderes als diejenige christliche Sekte, derer es hunderte gab und noch immer gibt, die sich gegen die anderen durchsetzte. Sie obsiegte im Kampf um die religiöse Führungsrolle und darf keinesfalls ohne Weiteres mit dem Christentum gleichgesetzt werden.

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Blicken wir aber in den Osten, so sehen wir, dass beispielsweise der Buddhismus wesentlich aufgeschlossener gegenüber den Naturwissenschaften ist. Mönche arbeiten mit Neurowissenschaftlern zusammen. Wissenschaftler untersuchen die Wirkungsweise meditativer Praktiken und es kommt zu einem produktiven Austausch. Wenn man nach Asien kommt, sieht man auch, wie die Religion noch viel stärker den Alltag prägt, als es in Zentraleuropa der Fall ist.

Es gibt natürlich auch christlich-katholische Religionslehrer, Pfarrer und Gelehrte die es schaffen, die biblischen Lehren in die Moderne zu holen, sie lebensnah und interessant zu transportieren. Ein herausragendes Beispiel ist der Autor und Friedensaktivist Eugen Drewermann.

Ich selbst hatte einmal das Glück die beste Lehrerin meiner 13-jährigen Schulkarriere im Fach Religion zu haben. Sie hat es verstanden, sich in die Denkweise junger Menschen hineinzuversetzen und damit den Stoff ihres Unterrichts ansprechend zu gestalten.

Religionen bieten uns Methoden und Erklärungen, die sich teilweise mit dem Zeitgeist auch wandeln oder die zwar beinahe antik sind, uns heute jedoch nützlicher erscheinen als jemals zuvor. Praktiken der Achtsamkeitsmeditation zur Stressbewältigung, im Hinduismus wurzelndes Yoga zur Erhaltung ganzheitlicher Gesundheit oder auch Gottesglaube zur Überwindung der Angst vor dem Sterben.

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IV. Religion als Gesellschaftsvertrag

Den letzten Aspekt, den ich im Begriff Religion sehe, ist der des Gesellschaftsvertrags. Als Beispiel möchte ich hier den Islam anführen. Der Koran beinhaltet nicht nur theologische Leitlinien und geschichtliche Elemente. Er liefert darüber hinaus Gesetzesgrundlagen, aus denen eine staatliche Ordnung entstehen kann, indem er Regelungen vorschlägt, wie sich das Individuum als Teil einer Gemeinschaft verhalten sollte.

Zudem bietet er Richtlinien zu politischen Entscheidungsgrundlagen, weshalb der Islam im arabischen Raum nach wie vor viel stärker das gesellschaftliche und politische Klima prägt, als es das Christentum im Westen tut.

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Natürlich kann man über die Vor- und Nachteile davon ausgiebig diskutieren. Fakt ist, dass im Westen der Gesellschaftsvertrag, insofern wir ihm einen attestieren möchten, auf einer anderen Grundlage fußt, weshalb die Sozialsysteme eines arabisch geprägten Landes nicht mit dem eines westeuropäischen Staates verglichen werden kann.

Wer könnte denn heute in Deutschland noch sagen welchen geistlichen Werte wir folgen? Also ich sehe nur Leistungsorientierung, Kapitalwettkampf und Glückssuche im Außen.

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Abschließend sollte gesagt sein, dass ein Sachverhalt, in dem Menschen eine tragende Rolle spielen, immer mindestens so komplex ist, wie es ein einzelner Mensch selbst sein kann. Sind mehrere Menschen im Spiel, so verkompliziert sich die Sache um ein vielfaches. Wenn wir nun noch den zeitlichen Faktor mit einberechnen, der bei Dingen wie „Religion“ eine maßgebliche Rolle spielt, dann sollte klar sein, wie ein oberflächliches Aburteilen eines solchen Sachverhalts schlicht pure Ignoranz gleicht.

Baum-9Wiederholt sei gesagt: Wir dürfen Religion und diejenigen, die sich als weltliche Vertreter einer bestimmten Konfession betiteln, nicht gleichsetzen. Das wäre in etwa so logisch, als wenn wir ein Schulfach mit dem Lehrer, der es unterrichtet, gleichsetzen. Zudem ist ein Mensch leider niemals gefeit davor, die Macht der Religion zu missbrauchen, um weltliche Interessen zu verfolgen.

Wir sollten unseren Blick für diese Dinge schärfen oder wir stehen vor einem kollektiven Scheitern der Weltgemeinschaft gegenüber. Die Zeit ist mehr als überfällig.


Von Marco Lo Voi

9 Gedanken zu “Gedanken zu: Was ist Religion?

  1. Religionen haben im Namen Gottes mehr menschliche Opfer gemacht als viele andere gewöhnliche Kriege.
    Religionen sind Wirrwege im Labyrinth der menschlichen Suche nach Wahrheit oder Göttlichkeit, die der Mensch selber in sich trägt und vergessen hat.

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    • Nicht die Religionen bringen Opfer – sondern der Mensch.

      Nicht die Religionen sind die Irrwege – sondern der Mensch ist es, der Irrwege konstruiert und sie vermeintlich Religion nennt.

      Die Religionen sind Schöpfungen des Menschen, also ist es stets der Mensch selbst, der etwas Gutes oder etwas Schlechtes daraus macht. Man greift in der Kritik zu kurz, wenn allein die Religionen verantwortlich macht.

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  2. Der freie Geist läßt sich an nichts binden und wurde frei von allem. Und eine der stärkste Bindung ist die Binde der Doktrinen, Dogmen, Ritten, Sitten und Vorurteile der Religionen.

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