Was ist ein „Wort“?

Die Bedeutung von „Sprache“

Wir alle benutzen sie Tag für Tag. Das erste Wort im Leben eines Menschen bleibt für die Eltern, insofern sie anwesend sind, ein prägendes Ereignis. Wer gut reden kann, der kann andere leicht manipulieren. Die Kunst des wohlgeformten mündlichen Ausdrucks, Rhetorik genannt, ist bis heute eine Disziplin, die beispielsweise für Staatsoberhäupter und Juristen eine wichtige Rolle spielt.

Doch wenn man die Frage stellt, wie denn nun das Wort „Wort“ zu definieren sei, dann haben wohl die meisten ein Problem. Das Wort „Wort“ mit Worten zu beschreiben, mag paradox erscheinen. Aber es gibt durchaus Theorien in der Sprachwissenschaft, die das grundlegende Konzept eines Wortes aufzulösen versuchen.

Ein Vorreiter war der schweizerische Denker Ferdinand de Saussure. Er führte die Zeichentheorie ein. Ich übergehe an dieser Stelle langwierige theoretische Erklärungen und komme zum interessanten Punkt: dem semiotischen Dreieck. Es zeigt das Ergebnis der erweiterten Zeichentheorie, das in der Sprachwissenschaft bis heute Geltung hat. Die folgende Abbildung zeigt eine stark vereinfachte Darstellung des semiotischen Dreiecks:

220px-Semiotischesdreieck

In dieser Abbildung sehen wir die drei Ebenen, die ein einzelnes Wort in sich vereint. Um uns die einzelnen Dimensionen klar zu mache, möchte ich eine nach der anderen erläutern und sie schließlich zu einer Synthese bringen.

Symbol

Beginnen möchte ich mit der Ebene des Symbols. Mit „Symbol“ ist das geschriebene Wort im klassischem Sinne gemeint. Das Symbol eines Worts ist das Erscheinungsbild, welches sich auf der Schriftebene (Orthographie) ansiedelt.

Die Aneinanderreihung von Lettern, die die jeweilige Schrift für die Kodierung verschiedener Laute verwendet, bildet das Symbol, welches zunächst gedeutet werden muss. Auf Grund deiner deutschsprachigen Schulbildung, liebe/r Leser/in, gelingt dir die Dekodierung dieser Sequenz aus vielen Symbolen (damit ist dieser Beitrag hier gemeint) problemlos. Doch damit nicht genug: während wir dekodieren, verknüpfen wir gleichzeitig mentale Konzepte mit diesen Symbolen.

Baum-6

Das mentale Konzept

Mit mentalem Konzept meine ich das, was wir unter verschiedenen Wörtern verstehen, also deren Bedeutung, deren Definition. Jedes Individuum hat seine ganz persönlichen mentalen Konzepte von den Dingen, die ihm/ihr bekannt sind, von denen sie/er sich bereits „einen Begriff“ gemacht hat.

Diese mentalen Konzepte stammen aus unserem Wissen über die Welt – dem Weltwissen. Das Weltwissen eines Menschen kann je nach kulturellem, sozialem oder familiären Hintergrund unterschiedlich sein. Die Unterschiedlichkeit im Weltwissen jedes Individuums ist meines Erachtens einer der Hauptursachen für internationale Konflikte.

Das Weltwissen setzt sich aus ebendiesen mentalen Konzepten zusammen, die durch verschiedene Symbole, insofern der-/diejenige alphabetisiert ist, auf der Schriftebene kodiert werden können.

Im Klartext: Das geschriebene Wort erzeugt bei jede/n Leser/in ein Bild im Kopf. Jede Person hat ihr ganz eigenes Bild, das durch die Erfahrungen, die jeder Mensch persönlich gemacht, geformt wird. All diese Bilder ergeben zusammen unser Weltbild.

Wir können ein Wort jedoch nicht nur lesen, wir können es auch aussprechen. In der historischen Sprachwissenschaft gibt es unterschiedliche Ansichten, ob die Ebene der Schrift, der Ebene der Aussprache nachgeordnet ist. Eine Tatsachen, die diese Annahme unterstützt, ist, dass es keine bekannte Kultur gibt, in der ausschließlich geschrieben und nicht gesprochen wird. Wohl gibt es aber Kulturen, in der eine eigene Sprache gesprochen wird, aber kein Schriftsystem existiert.

Kopf-Baum

Begriff

Dies führt uns zur nächsten Ebene: dem Begriff. Mit Begriff ist die lautliche Repräsentation gemeint. Also das, was wir hören, wenn ein Symbol versprachlicht –  ein Wort vorgelesen –  wird. Der Unterschied zum geschriebenen Wort ist nicht sofort ersichtlich.

Wenn wir uns aber anschauen, dass bestimmte Buchstaben, je nach dem neben welchen anderen Buchstaben sie stehen, unterschiedlich ausgesprochen werden, dann wird der Unterschied deutlich. Ein „c“ wird neben einem „h“ zu einem „ch“. In der Lautschrift entspricht das dem Symbol [ç]. Gesellt sich nun ein „s“ zum „ch“ hinzu, werden sie im Deutschen gemeinsam als „sch“ ausgesprochen, welches in der Lautschrift mit [ʃ] verschriftlicht wird.

Diese Tatsache zeigt, wie sich die Ebene der Lautung (Phonetik) von der Ebene der Schrift (Orthographie) unterscheidet. Es handelt sich also um zwei Dimensionen, die in einer bestimmten Beziehung zueinander stehen.

Bisher hat sich alles nur auf den Menschen, dessen Wahrnehmung und dessen Werkzeug „Schrift“ bezogen. Der Bezug zur sogenannten „Realität“ oder zur Welt wird durch die Ebene Ding repräsentiert.

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Ding

Mit „Ding“ ist der bezeichnete Sachverhalt, die Sache oder der Umstand gemeint, wie er in der greifbaren Realität – der Umwelt – erscheint. Wenn wir bei dem Beispiel „Baum“ bleiben, dann ist das „Ding“ das, was wir sehen können. Dieses große, größtenteils braune, längliche Ding, was aus dem Boden wächst.

Wir bezeichnen dieses Ding im deutschen Sprachraum als „Baum“, im englischen wird es jedoch mit den Lettern T-R-E-E kodiert und [tri:] ausgesprochen. Trotzdem handelt es sich um den selben bezeichneten Gegenstand. Warum gibt es unterschiedliche Wörter für dieselben Dinge? Natürlich sprechen wir überall auf der Welt unterschiedliche Sprachen, aber das ist noch keine ausreichende Begründung.

Bäume

Wir können an dieser Stelle erneut Parallelen zum Buddhismus ziehen. Die Lehre sagt, dass alle „Dinge“ ihrer Essenz nach „leer“ sind. Wir behaften all die Dinge, die wir visuell, akustisch oder mit unserem Spürsinn wahrnehmen, mit Eigenschaften, deren Summe sich in einem Konzept, was wir uns von den jeweiligen Dingen machen, bündelt. Somit erfassen wir sie und machen sie für uns greifbar.

Der Mensch braucht diesen Vorgang, um sich in der Welt orientieren zu können. Diese Konzepte, um den Bogen zum Anfang zu spannen, werden dann in den jeweiligen Sprachen mit unterschiedlichen „Titeln“ zusammengefasst. Das nennen wir dann „Bezeichnung“. Die Bezeichnung erfolgt dabei mehr oder weniger willkürlich und ist ein vom Menschen ausgehender Vorgang.

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Das bezeichnete Ding hat sich seinen Titel nicht selbst erwählt, trägt die Bezeichnung nicht als Eigenschaft in sich, sondern dieser Titel, zusammen mit den anderen Eigenschaften, werden ihm zugesprochen. Diese Titel sind dann das, was wir als Inhalts- oder Bedeutungswörter bezeichnen.

Neben den Inhaltswörtern gibt es auch Funktionswörter, wie Bindewörter (z.B. und, oder, auch, etc.) oder Präpositionen (auf, in, unter, etc.), die keine „Bedeutung“ haben, sondern lediglich dazu dienen, „sprachliche Handlungen“ auszuführen, wie z.B. Sätze zu verbinden.

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All dies verbirgt sich hinter dem Wort „Wort“ und wir sind uns dessen die allermeiste Zeit unseres Lebens nicht bewusst. Doch hierin begründen sich entscheidende Dinge wie Missverständnisse und die daraus resultierenden Konflikte, die zu ganzen Kriegen auswachsen können und nur, weil wir unterschiedliche Auffassungen von verschiedenen Wörtern haben.

Wenn ihr also mal wieder Streit mit einem Freund, einer Freundin, eurer Partnerin oder eurem Partner habt, dann versucht zunächst herauszufinden, ob es sich nicht einfach nur um eine Sache der Definition handelt. Vielleicht entdeckt ihr, bevor ein handfester Streit ausbricht, dass ihr im Grunde der gleichen Meinung seid, jedoch lediglich unterschiedliche Auffassungen eines bestimmten Begriffs habt.


von Marco Lo Voi

4 Gedanken zu “Was ist ein „Wort“?

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