Im Krieg gibt es keine Gewinner
Allem voran möchte ich Folgendes klarstellen: Ich befürworte keine Kriegshandlungen egal von wem, egal gegen wen. Einer der zentralen Gründe, weshalb dieser Blog überhaupt entstanden ist, war mein grundlegend auf universellen Frieden hin ausgerichtetes Wesen. Wirklicher nachhaltiger Frieden kann meines Erachtens nur auf Verständnis basieren. Erst Verständnis öffnet zwei unvereinbar scheinende Positionen für einen Dialog. Gerade im Dialog mit einer anderen Meinung liegt das größte Wachstumspotential aller gesprächsbereiten Parteien. Unsere „Gegner“ sind oft unsere besten Lehrer. In diesem Zeichen steht auch der nachfolgende Artikel. Er möchte Hintergrundinformationen liefern und bestimmte historische Tatsachen zu den aktuellen Ereignissen in Beziehung setzen, um ein vollständigeres Bild von der Situation in Europa zu erhalten.
Da wir uns in Deutschland im Einflussbereich der von der USA geführten NATO befinden, sind die meisten Nachrichten und Erfahrungen zum Thema „Ukraine-Krieg“ aus eben dieser Perspektive vermittelt worden. Darum wird dieser Beitrag aus dieser „NATO-Perspektive“ betrachtet oft „pro-russisch“ oder wohlwollend gegenüber der Politik Putins klingen. Dies liegt aber weniger an den Inhalten, die ich hier zusammenfasse, als an den Bildern und Vorurteilen, die der geneigte Leser oder die geneigte Leserin eventuell von Russland oder Putin hat. Darum rufe ich dazu auf, sich möglichst unvoreingenommen den nachfolgenden Inhalten anzunähern, weil es hier nicht darum geht, die Kriegshandlungen Russlands in ein positives Licht zu rücken. Im Krieg gibt es keine Gewinner. Dieser Beitrag spricht sich vehement gegen Krieg aus, weshalb er es sich zur Aufgabe nimmt, ein klein wenig Aufklärung zu betreiben.

Die Geschichte ist ein Kontinuum
Schlagzeilen und Nachrichtenticker sind gefährlich. Was können wir heute lesen?
„Krieg in der Ukraine: Putins Armee greift mehrere Städte an“
„Putin greift an“
„Putin greift die Ukraine an – die Ereignisse des Tages sortiert“
Und so weiter. Das ist schlimm. Es ist völkerrechtswidrig und es ist eine Kriegshandlung. Das ist keine Frage. Auch ich heiße das nicht gut. Nun haben wir aber ein Ereignis, das nicht ohne Vorgeschichte ist. Die Geschichte ist ein Kontinuum. Diese Aktion ist keine Handlung aus heiterem Himmel sondern eine Reaktion, die wirklich interessierte und informierte Geopolitik-Kenner nicht völlig überrascht. Natürlich ist ein gewisses Überraschungsmoment dabei, es handelt sich schließlich um Krieg. Nun muss in der Beurteilung dieser Handlung der Gesamtverlauf des Ukrainekonflikts betrachtet werden. Da wir jedoch vor allem in den letzten zwei Jahren diesen Konflikt, den irgendwie niemanden mehr hier in Deutschland wirklich interessiert hat, viele andere Dinge um die Ohren geschossen bekommen haben, kann der durchschnittliche Mensch wohl kaum noch was mit Begriffen wie „Maidan“, „NATO-Osterweiterung“, „NATO-Russland-Akte“, „Donbass“, „Odessa“ oder „Krimkrise“ anfangen. In diesem Beitrag möchte ich diese Ereignisse nochmals historisch einordnen, um daraus den Einmarsch der russischen Armee herzuleiten.
Zunächst stellt sich die Frage, wie weit man in die Vergangenheit blickt, um die Gegenwart zu erklären. Da ich kein ausgewiesener Ukraine-Experte bin, habe ich beschlossen, mit der Wiedervereinigung Deutschlands zu beginnen und die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg auszuklammern. Bereits in der unmittelbaren Nachkriegs-Periode gab es immer wieder Auseinandersetzungen um und auf der Krim. Hierzu verweise ich auf den den englischsprachigen Wikipedia-Artikel zur Geschichte der Krim. Wer weniger gut Englisch kann, dem empfehle ich das Übersetzungstool DeepL, um die entsprechenden Passagen zu übersetzen. Zusammengefasst kann man sagen, dass auf der Krim eine russische Mehrheit lebt, weshalb die Zugehörigkeitsfrage zu Russland, zur Ukraine oder gar eine Unabhängigkeit immer wieder innenpolitisches Thema der Krimbewohner war. Warum ist nun aber die deutsche Geschichte in diesem Zusammenhang relevant? Dies liegt an der einfachen Tatsache, dass die Geschicke der Länder des europäischen Kontinents, zu dem Russland nun mal dazu gehört, nicht geographisch und historisch isoliert voneinander betrachtet werden können. Um eine Handlung der Gegenwart besser verstehen zu können, müssen wir zudem die Kette der Ereignisse ab einem früheren Zeitpunkt betrachten. Die Geschichte ist eben ein Kontinuum.

Der Ost-West-Konflikt
Die Geschichte des Ost-West-Konflikts ist alt. Zuletzt war es Hitler-Deutschland, das in seinem selbstzerstörerischen Größenwahn in Richtung Russland marschiert ist. Dann folgte der Kalte Krieg, in welchem die Welt erneut an einen Abgrund getrieben wurde, als West und Ost sich einen irrwitzigen Rüstungswettlauf lieferten. Schließlich machte es die besonnene Geheim-Diplomatie Kennedys und Chrustchows möglich, das große Unheil abzuwenden. Wir gehen mit großen historischen Schritten voran: als alle Weichen für die deutsche Wiedervereinigungen gestellt waren, kam es schließlich am 3. Oktober 1990 zur Beendigung der DDR und zur Wiedervereinigung der beiden Deutschlands. Dies geschah im Zeitraum des schrittweisen Zerfalls der Sowjetunion, der sich in den 90ern vollzog. Ein zentraler Punkt für die Diplomaten der schwankenden Sowjetunion im Zuge der deutschen Wiedervereinigung und damit aus ihrer Sicht zur Aufgabe der DDR als eines ihrer Einflussgebiete war eine Absicherung gegen eine befürchtete NATO-Osterweiterung. Denn die erste Erweiterung fand bereits mit der Aufnahme des wiedervereinigten Deutschlands in die NATO statt, obwohl Deutschland durchaus die Option gehabt hätte, sich als blockfreier Staat ähnlich wie die Schweiz neutral zu positionieren. Das konnte und wollte die USA jedoch nicht zulassen.
Bis heute stritten die USA und die westlichen Medien immer wieder ab, dass es eine solche Absicherung gegeben habe. Nun hat der Spiegel vor ungefähr zwei Wochen ganz überrascht getan, als sie Archiv-Dokumente fanden, die eben dieses diplomatische Versprechen eindeutig beweisen. Nur blöd, dass die russische Diplomatie sich dieses Versprechen nicht schriftlich hat geben lassen. Nicht einmal 10 Jahre später ereigneten sich gleich drei NATO-Beitritte von osteuropäischen Ländern. Es folgten bis heute 11 weitere Länder. Aus russischer Sicht handelt es sich hier um ein gebrochenes Versprechen, was nicht unbedingt zur Förderung des gegenseitigen Vertrauens beiträgt. In der russischen Wahrnehmung rückt die NATO immer näher an die russische Grenze heran, was mit dem Beitritt der BRD schon befürchtet wurde und nun in der Ukraine seinen gefährlichen Höhepunkt erreicht.
Da sich die Beitritte weiterer Staaten östlich der neuen BRD vermutlich bereits abzeichneten, schlossen Russland und die NATO 1997 die sogenannte „Nato-Russland-Grundakte“. Hier kann der vollständige Inhalt auf Deutsch nachgelesen werden. Einen solchen Vertrag hätte Russland noch während der deutschen Wiedervereinigungs-Verhandlungen schließen sollen. Damals reichte ihnen eine diplomatische Zusage. Dieses Vertrauen wurde verspielt. Darin steht unter anderem die Wahrung der territorialen Souveränität anderer Staaten, die Unterlassung einer Erhöhung der Truppenpräsenz in neuen Mitgliedsstaaten der NATO und vor allem die Unterlassung kriegerischer Interventionen. Bereits 1999 wurden all diese Kernpunkte von der NATO mit dem Kosovo-Krieg eindeutig gebrochen. Es folgten seit dem 6 weitere illegale Kriege der US-geführten NATO auf der ganzen Welt. Russland ist ebenfalls nicht unschuldig geblieben und hat sich nach 1997 mit dem Tschetschenienkrieg versündigt. Natürlich gab es noch mehr militärische Interventionen durch die USA und auch durch Russland. Allerdings muss zwischen Militäroperationen, legalen und illegalen Kriegen unterschieden werden.

Geopolitik – Das Schachspiel für Größenwahnsinnige
Strategische Überlegungen, die sich über mehrere Ländergrenzen hinweg erstrecken, nennt man Geostrategie/Geopolitik. Immer wieder gab es in der Geschichte der Menschheit größenwahnsinnige Machtmenschen, die es sich in den Kopf gesetzt haben, ein Weltreich zu gründen. Dies hat sich bis heute nicht geändert. Dabei mussten sie geopolitisch denken. Allerdings thront die Macht heute nicht mehr gut sichtbar auf goldenen Stühlen, sondern agiert über die Ebene der Politik, auf der einzelne Gesichter als Zielscheibe der Emotionen herhalten dürfen, während die eigentlich Machtzentren woanders verortet sind, gut verschleiert und in einem gestaltlosen Gesamtsystem aufgelöst. Für die Bevölkerung sind es weiterhin einzelne Personen, Berufspolitiker, die augenscheinlich die Fäden in der Hand halten. Doch sind sie einmal abgewählt, interessieren sie kaum noch. Wer war nochmal dieser Jens Spahn? Aus den Medien, aus dem Sinn. Natürlich gibt es trotzdem prägende Persönlichkeiten, deren Einfluss auf gewisse Vorgänge größer ist, als der Einfluss anderer Personen. Ein Putin war und ist wesentlich einflussreicher und prägender als es ein Scholz je sein wird. Aber auch ein Putin ist ebenso wie ein Joe Biden Stellvertreter eines Systems, der eines Tages ausgetauscht sein wird. Politik dient meines Erachtens heutzutage jedoch vorrangig als Projektionsfläche für die Emotionen der großen Masse, während beispielsweise Entscheidungen über Krieg und Frieden nicht mehr alleinig in den Händen einzelner Menschen liegt.
Es sind Militärapparate, Gremien, Interessenverbände, Kommissionen und Befehlsstrukturen, die alle bestrebt sind, ihre Wünsche in den Entscheidungen der Politikerinnen und Politiker berücksichtigt zu sehen. Hierarchien spielen sowohl innerhalb dieser Strukturen als auch zwischen einzelnen Ländern dabei eine wesentliche Rolle. Momentan ist es die USA, die das internationale Parkett durch seinen gigantischen Militärapparat dominiert. Die USA haben mit ihren 11 Flugzeugträgern, ihren 587 Auslandsmilitärstützpunkten und der Kontrolle über die Weltleitwährung und damit den internationalen Finanzmarkt mit der FED als ihr wichtigstes Kontrollorgan die Stellung als Weltimperium inne. Die NATO wird zudem seit ihrer Gründung immer von einem US-amerikanischen General geführt und von einem europäischen Sekretär öffentlich vertreten. Die NATO ist einfach ausgedrückt der verlängerte militärische Arm der USA. Russland hat dagegen nur einen Flugzeugträger und 30 Militärstützpunkte in fremdem Ländern. Einer ihrer wichtigsten militärischen Einrichtungen, die sie per Pachtvertrag bis vor dem Maidan 2014 rechtmäßig nutzten, war der Schwarzmeerhafen Sewastopol auf der Krim.
Der große geopolitische Analyst und ehemalige außenpolitische Berater Zbigeniew Brsezinski (1928-2017), der definitiv nicht als Russland-Freund anzusehen war, hat 1997 eines seiner zentralen Werke veröffentlicht, das ein wichtiger Baustein in der geostrategischen Sicht der USA gesehen werden: „The Grand Chessboard – American Primacy and Its Geostrategic Imperatives“ (Volltext). Darin argumentiert er im Wesentlichen nach der geopolitischen „Heartland-Theorie“ (Herzland-Theorie) nach Mackinder, die „als ,die wohl bedeutsamste Idee in der Geschichte der Geopolitik'“ gilt (Hoffmann 2012 nach Quelle). Mit „Herzland“ ist der gesamte eurasische Kontinent gemeint. In unserer Wahrnehmung ist Europa von Asien getrennt, obwohl es sich um eine geschlossene Landmasse handelt – Mackinder nannte es das „Herzland“:

Die Theorie Mackinders, der sich Brsezinski anschließt, sieht zwei Wege, die Erde zu beherrschen: Die größte Seemacht zu sein oder die größte Landmacht zu sein. Vor den USA waren es die Briten, die von ihrer Insel aus mit einer riesigen Flotte ein Imperium aufbauen konnten, weil sie unglaublich mobil waren. Die USA hat sich in diese Tradition gestellt, da der Nordamerikanische Kontinent, den die USA dominiert, im Vergleich zum Herzland ebenfalls nur eine „Insel“ darstellt. Die Strategen der USA haben das natürlich schon vor Jahrzehnten erkannt, weshalb die USA insgesamt 11 Flugzeugträger hat. Mit diesen Flugzeugträgern, ihrer Drohnen-flotte und ihrer Luftwaffe beherrschen sie die Weltmeere. Sie sind das Imperium als Seemacht.
Brsezinskis Analysen zielen vor allem darauf ab, diesen Status als Imperium zu stärken und zu fördern. Um dies zu erreichen, ist es aus Sicht der USA oberste Priorität, eine vereinigte Landmacht zu verhindern. Eine große Landmacht ist einer Seemacht strategisch auf lange Sicht überlegen. Wenn sich die Mächte des Herzlandes, des eurasischen Kontinents, koordinieren und strategisch vereinigen würden, dann wäre die Seemacht der USA dagegen bedeutungslos. Solange die Mächte des Herzlandes gegeneinander und nicht miteinander agieren, ist dies im geopolitischen Sinne für die USA als Seemacht ein zentraler Baustein ihrer geostrategischen Überlegungen. Darum ist es für die USA so zentral, mit der NATO einen großen Fuß auf dem eurasischen Kontinent zu haben, dessen Existenzberechtigung nach dem Zerfall des Warschauer Paktes fragwürdig geworden ist. Deutschland spielt mit seiner geographischen Lage, seiner starken Wirtschaft und seiner absoluten Loyalität gegenüber der USA dabei eine absolut entscheidende Rolle. Hierzu ein Zitat aus dem strategischen Werk Breszinskis, das hier im deutschen Volltext gefunden werden kann (Volltext):
„Dies erfordert ein energisches, konzentriertes und entschlossenes Einwirken Amerikas besonders auf die Deutschen, um die Ausdehnung Europas zu bestimmen und um mit — vor allem für Russland — derart heiklen Angelegenheiten wie dem etwaigen Status der baltischen Staaten und der Ukraine innerhalb des europäischen Staatenbundes fertig zu werden. Ein Blick auf die Karte der riesigen eurasischen Landmasse offenbart die geopolitische Bedeutung des europäischen Brückenkopfes für Amerika —und auch seine bescheidenen geographischen Ausmaße. Die Erhaltung dieses Brückenkopfes und seine Erweiterung zum Sprungbrett für Demokratie sind für die Sicherheit Amerikas von unmittelbarer Relevanz. “
(PDF-Seite 115)

Ukraine – Russlands rote Linie
Sieht man sich die obige Karte der NATO-Osterweiterungen an, dann ist nicht mehr viel Luft zwischen Russland und der sich langsam weiter voran schiebenden NATO. Die Ukraine ist unmittelbares Nachbarland zu Russland und auch kulturell sehr eng mit „Mother Russia“ verwandt. Vor allem im Osten der Ukraine lebten auch vor 2014 viele Russen. Auf der Krim selbst war auch vor 2014 die große Mehrheit der Bevölkerung der russisch. Viele Familienbande erstrecken sich über die ukrainisch-russische Grenze und auch wirtschaftlich ist die Ukraine stark von Russland als großem Handelspartner abhängig. Seit der Konflikt 2014 ausgebrochen ist, hat sich die Ukraine zum Armenhaus Europas und ist eines ihrer ärmsten Länder entwickelt. Das liegt nicht nur am Konflikt selbst – die zerbrochenen Handelsbeziehungen mit Russland waren ein wirtschaftlicher Super-GAU für die dort lebende Bevölkerung. Aus russischer Perspektive sind die Vorgänge ab 2014 ein weiterer Versuch, die NATO-Linie an die Grenzen Russlands zu bringen. Der Zündfunke für den Ukraine-Konflikt muss in den sogenannten Maidan-Protesten gesehen werden.
Die „Wahrheit“ über die Ereignisse an diesem Tag herauszuarbeiten, würde den Rahmen sprengen. Festzustellen ist jedoch, dass die westlichen Medien eine völlig andere Geschichte als die russischen Medien erzählen. Dazwischen gibt es Dokumentation wie „Ukrainian Agony“, die von unabhängigen Medienmachern produziert wurden, die einfach selbst in die Krisenregion gefahren sind und über ihre Sicht berichten. Egal wie man die Proteste dort bewertet, das Ergebnis war die Ablösung einer traditionell pro-russischen Regierung durch eine nationalistische und sehr westlich orientierte Regierung. Ja richtig. Auf dem Maidan-Platz während der „friedlichen Demonstrationen“ waren auch ukrainisch-nationalistische Kräfte anwesend, die bis heute einen Teil der ukrainischen Armee ausmachen. Allem voran wäre da das ultranationalistische Azov-Battalion zu nennen. Hier ein paar Eindrücke ihrer bevorzugten Symbole:
Als die alte ukrainische Regierung, die als eher pro-russisch gesehen werden kann, bereits Zugeständnisse und ihren Willen zu Reformen gezeigt hat, riss der Protest auf dem Maidan nicht ab. Es kam unter anderem zum Massaker von Odessa, bei dem Maidan-Protestler ein Gewerkschaftshaus niederbrannten, in dem sich noch Menschen befanden. Die damalige Regierung wurde aus russischer Perspektive weggeputscht und es wurde eine pro-westliche Regierung eingesetzt. Geht man davon aus, was einige Analysten tun, dass die Protestbewegung von außen unterstützt wurde, nennt man diesen Vorgang in der verdeckten Kriegsführung „Regime-Change“. Dr. Daniele Ganser hat hierzu einen sehr detaillierten Vortrag gehalten, den ich dringend empfehle:
In der ukrainischen Bevölkerung gab es durchaus Gegenproteste zu den Vorgängen auf dem Maidan. Vor allem im Osten der Ukraine, wo viele russisch-stämmige Menschen lebten und leben, regte sich Widerstand gegen die anti-russische und ukrainisch-nationalistische Bewegung, die sich im Zuge der Maidan-Protest an die Macht putschte. Die Russische Regierung konnte sich natürlich denken, was es bedeutete, wenn die Ukraine, sei es auch völlig freiwillig und aus sich selbst heraus, was ich nicht glaube, nach Westen in Richtung Europa und NATO wendet. Zum einen würde damit eine NATO-Osterweiterung bis an die Grenzen Russlands drohen und zum anderen würde der Pachtvertrag um den Militärhafen Sewastopol auf der Krim gefährdet, was Russland vollständig vom Mittelmeer-Raum und ihrer Schwarzmeerflotte abschneiden würde. Die beiden gegenläufigen innenpolitischen Bewegungen zerrissen die Ukraine in die West-Ukraine und das Donezkbecken mit den Metropolen Luhanks und Donezk – kurz „Donbass“ genannt. Noch 2001 gaben 74,9% der Bürger in Donezk und 68,8% der Bevölkerung in Luhansk bei der Frage ihrer Muttersprache das Russische an (Quelle).
Die Krim, die schon immer ein Identitätsproblem hatte, sah sich vor die Wahl gestellt, sich erneut Russland zuzuwenden oder sich ukrainisch-nationalistischen Bewegung anzuschließen und der neuen umstrittenen Regierung in Kiev die Treue zu halten. Wieso erneut? 1954 hat Nikita Krushchev, damaliger Oberster Sekretär der Kommunistischen Partei die Krim der ukrainischen SSR „übergeben“ (Quelle). Der Westen kritisiert bis heute das Vorgehen der russischen Regierung im Februar 2014, die nach eigenen Angaben mit ihrer Truppenpräsenz auf der Krim dafür sorgten, dass die Krim-Bevölkerung in einem Referendum die Möglichkeit hatte, über die Zugehörigkeitsfrage in einer befriedeten Situation zu entscheiden. Im Westen wird dies bis heute als „Annexion“ bezeichnet, also als gewaltsame Landnahme, da die Präsenz der russischen Truppen, die durchaus völkerrechtlich umstritten war, als Druckmittel genutzt worden sei, um das Referendum zu Gunsten Russlands zu entscheiden und die Krim somit Russland anzugliedern. Dabei wird außer Acht gelassen, dass die Mehrheit der dort lebenden Bevölkerung (65,3%, Stand 2021) historisch und bis heute immer schon Russen waren und bis vor der Übergabe durch Krushchev 1954 tatsächlicher Teil des russischen Großreichs war. Darum bezeichnen manche Völkerrechtsexperten, die das Referendum, in welchem die Krim-Bevölkerung zu 96% für eine Angliederung an Russland stimmten, als rechtmäßig ansehen und in Anbetracht der Geschichte der Krim, diesen Transfer der Krim-Region als „Sezession“ – also als freiwillige Wiederangliederung.
Des weiteren erklärten sich die Metropolen Donezk am 7. April und Luhansk am 24. April 2014 zu souveränen Volksrepubliken im Donbass, weil sie die Entwicklungen in der Ukraine, die in den Maidan-Protesten ihren Ausgang nahmen, ablehnend gegenüberstehen. In den westlichen Medien werden diese Gebiete als „Pseudoländer“, „Separatistengebiete“ oder „Abtrünnige Republiken“ bezeichnet. Die dort lebenden Menschen, die mehrheitlich russischsprachig sind, wurden in unseren Medien dabei als „pro-russische Separatisten“ und von der Regierung Kievs als „Terroristen“ bezeichnet. Hierbei handelt es sich also um Ballungsräume, in denen seit jeher eine russischsprachige Mehrheit lebt, die sich gegen die anti-russischen und nationalistischen Bewegungen in ihrem Land wehren. Der Ukraine-Konflikt innerhalb des Landes bezog sich die letzten acht Jahre im Wesentlichen auf diese Gebiete. Die neue ukrainische Regierung hat die selbsternannten Republiken daraufhin von jeglicher Versorgungsleistung abgeschnitten und begonnen, diesen Landesteil militärisch zu attackieren. Die dort lebende Bevölkerung konnte nur überleben, weil Russland die dortige Bevölkerung, die mehrheitlich russischsprachig ist, mit Nahrungsmitteln und Wasser und bestimmt auch mit Waffen versorgte. Zudem gab es viele Russen, die von Russland aus in diese Regionen zogen, um ihr dort lebenden Landsleute kämpferisch zu unterstützen. Der Westen vermutet hierin bis heute Bewegungen des russischen Militärs.

Wie es zum Einmarsch der russischen Truppen kam
Nach Jahren der Befriedungsversuche durch Abkommen wie Minsk I und II, wo auch Angela Merkel eine eher positive Rolle spielte, brach die Ukraine immer wieder Vereinbarungen des Minkser Abkommens, das eine Anerkennung der Autonomie der Regionen Donezk und Lugansk durch die Ukraine vorsahen, ohne eine tatsächliche politische Abspaltung derselben. Stattdessen hat die ukrainische Regierung Gesetze für ein Verbot der Verwendung der russischen Sprache und ein Gesetz zur rassischen Klassifizierung der ukrainischen Bevölkerung erlassen. Die Anerkennung der Autonomie der Donbass-Region blieb aus. Stattdessen wurden diese Regionen immer wieder durch ukrainische Militärs beschossen. Zudem hat die CIA laut Medienberichten begonnen, Ausbildungslager in der Ukraine zu errichten, was nicht nur ein weiterer Bruch der NATO-Russland-Grundakte sondern ein absolutes Alarmzeichen für Russland ist.
Am 17.12.2021 hat Russland dann ziemlich entschiedene Sicherheitsgarantien vom Westen eingefordert, endlich die NATO-Manöver an der Russischen Grenze einzustellen, alle NATO-Truppen von der russischen Grenzen abzuziehen, die NATO nicht weiter nach Osten auszudehnen und ein vollständiger Abzug der NATO-Waffensysteme von der russischen Grenze (Quelle). Die Biden-Regierung hat die wesentlichen Punkte der Forderungen schlicht ignoriert (Quelle). Vor kurzem wurde übrigens in Deutschland eine neue hochmoderne US-Atomrakete gebracht, die mobil ist und beispielsweise auch in die Ukraine rollen kann (Quelle). Die NATO hat ihre Operationen nicht eingestellt, die Waffen und Soldaten sind geblieben, wo sie sind. Zudem hat die ukrainische Regierung erneut die Angriffe auf den Donbass verstärkt (Quelle). NATO-Bewegungen hielten an.
Schließlich sah sich Russland gezwungen zu reagieren. Vor einigen Tagen hat die russische Regierung Evakuierungskonvois in den Donbass geschickt, um alle Zivilisten, die fliehen möchten, nach Russland zu bringen. Kurz vor dem Einmarsch in die Ukraine hat die russische Regierung die bisher nicht anerkannten Republiken Donezk und Lugansk völkerrechtlich anerkannt (Quelle), was laut der Aussage der Deutsch-Russin Alina Lipp, die seit einigen Wochen im Donbass lebt, bei den dort lebenden Menschen für große Erleichterung sorgte:
Russland ist zunächst in die von ihnen nun anerkannten Republiken eingerückt, wo sie bereits attackiert wurden. Schließlich stießen sie über die Grenzen des Donbass in die Ukraine vor. Die Kriegsziele der russischen Regierung sind nach Aussage Putins in erster Linie drei Dinge: „die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren und diejenigen vor Gericht zu stellen, die zahlreiche blutige Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung, einschließlich der Bürger der Russischen Föderation, begangen haben“. Hier finden sie die Übersetzung der gesamten Rede Putins auf Deutsch. Allen Beteiligten dürfte klar sein, dass eine Ukraine dem russischen Militär kaum standhalten kann. Darum leisten Teile des ukrainischen Militärs auch keinerlei Widerstand. Die größte Gegenwehr ist von den ultranationalistischen Kräften der Ukraine zu erwarten.

Hoffen auf ein schnelles Ende
Wie so viele hat auch mich der Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine überrascht. Ich weiß auch nicht, wie ich diesen Umstand bewerten soll. Da ich grundsätzlich immer gegen Krieg und Gewalt bin, sehe ich diese Aktion zunächst sehr kritisch, weil dabei natürlich weitere Menschen sterben werden. Allerdings muss dazu gesagt werden, dass seit 2014 jeden Tag Menschen im Grenzgebiet Donbass-West-Ukraine gestorben sind. Dieser Krieg hat nicht mit dem Einmarsch Russlands begonnen, sondern mit einem allem Anschein nach von Außen angeschobenen Regierungsputsch im Jahre 2014. Seit dem starben täglich Menschen. Wenn der Einmarsch der russischen Truppen bald dafür sorgt, dass das Morden und Sterben in den Grenzregionen aufhört, Russland sich nach der erfolgreichen Operation zurückzieht und die Ukraine dadurch die Möglichkeit bekommt, endlich eine friedliche Einheitslösung zu finden. Dann stehe ich diesem Vorgehen neutral gegenüber.
Dieser Beitrag leistet hoffentlich einen Beitrag dazu, diese Handlung besser nachvollziehen zu können. Gut finden muss man sie auch jetzt nicht. Nur jetzt hat man zumindest einmal die grundlegenden Tatsachen des Ukraine-Konflikts gebündelt vor Augen und kann sich jetzt hoffentlich ein differenzierteres Bild von der Lage machen. Ich erwarte von niemandem, jetzt ein Freund Putins zu sein. Wir sollten alle endlich gemeinsam daran arbeiten, solcherlei Aktionen in Zukunft für keine Seite mehr als notwendig angesehen werden zu lassen. Wir sollten im europäischen Interesse an einer friedlichen Lösung mit Russland und den USA arbeiten und uns nicht auf einseitige Schuldzuweisungen versteifen. Die Zeichnung des Feindbilds Putin war ebenso ein Faktor für diese Militäroperation wie die zahlreichen anderen Aspekte, die ich hier zusammengetragen habe. Lasst uns alle gemeinsam darauf hoffen, dass diese Situation schnell ein Ende nimmt. Dies kann aber meines Erachtens nicht dadurch erreicht werden, indem man nun auf Putin hetzt und ihm allein die Schuld für alles gibt. Auch Waffenlieferungen und Solidaritätsbekundung an die Ukraine werden diesen Konflikt nicht entschärfen. Hier steht zu viel auf dem Spiel, um solch unüberlegte Dinge zu machen.
Ich mahne alle Menschen, sich nicht in Hass und Ablehnung gegen irgendwen treiben zu lassen, sondern durch Verständnis und Gesprächsbereitschaft in Zukunft eine friedvolle Atmosphäre zu erreichen. Gemeinsam. Als eine europäische und eine Weltgemeinschaft!
von Marco Lo Voi
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