
Alles begann mit einer einfachen Frage
F.: „Ich geh bald für fünf Monate nach Portugal. Kommst du mit?“
Normalerweise bin ich nicht der Typ großer Spontanität. Ich plane gerne, gehe nur begrenzt Risiken ein und möchte zunächst stets einige Infos zu Umständen, bevor ich mich ihnen aussetze. Manche würden mich deswegen als Langweiler bezeichnen, die Vernunft in Person, „den Erwachsenen“, in jungen Jahren wurde ich auch gelegentlich als Angsthase bezeichnet. Nun, da ich diese Zeilen niederlege, weiß ich, wie ich für mich diese unerklärliche Gewissheit über meine Haltung, Meinung oder Vorahnung zu einem Thema, einer Person oder einer möglichen Handlung benenne: Intuition. Rückblickend kann ich beurteilen, wie stark meine Intuition wirklich ist und dass ich ihr vertrauen kann. Meine Intuition hat mir Zweifel zu dieser Reise eingegeben und jetzt, da ich hier, wieder angekommen Deutschland, sitze, muss ich ihr uneingeschränkt Recht geben.
Es mag sich anhören, als würde ich Dinge bereuen. Nichts läge mir ferner. Reue bezöge sich auf die Vergangenheit und diese ist unabänderlich. Wohl aber sollte man über die Dinge reflektieren; am wichtigsten ist meines Erachtens dabei jedoch, durch diese Reflexion sein Verhalten und Denken für die Zukunft zu überdenken und gegebenenfalls zu transformieren, anstatt sich in ewiger Reue zu ergehen. Vergebung ist dabei der Schlüssel.
Zurück zur Mitte des vergangenen Jahres 2022. Auf jene Frage, die ich eingangs zitierte, habe ich also entgegen meiner Intuition mit „Ja!“ geantwortet. Ich hatte mich dazu entschlossen, meine Intuition und damit mich selbst herauszufordern. Wie sehr ich mich damit herausfordern würde, war mir allerdings nicht klar.

Lange Planung, große Vorhaben
Die Idee von F. war, seinem damaligen Arbeitgeber dabei zu helfen, ein Dach einer alten Scheune im Süden Portugals, auf einem Gelände, welches jener sich vor rund zwei Jahren kaufte, zu erneuern. Da ich nicht als der größte Handwerker in die Geschichte eingehen werde, war dies die erste herausfordernde Ebene. Die zweite war, dass weder Unterkunft, noch sonstige Infrastruktur für uns zur Verfügung stehen würde: Kein Strom, kein fließendes Wasser, kein Dach, keine Kochstelle, keine Toilette. Lediglich ein Stundenlohn von 10€ und die Zusage über eine warme Mahlzeit wurden in Aussicht gestellt. Wahrlich ein Abenteuer. Der Einsatz sollte in zwei Phasen erfolgen. Bauphase 1 sollte Anfang November ’22 starten und bis Mitte Dezember ’22 dauern. Über Weihnachten und bis in den Februar ’23 hinein war eine Pause angesetzt, da der Bauherr ein Kind erwartete. Dann sollte Bauphase 2 beginnen und bis Ende März ’23 andauern. Das war der Plan.
Wir benötigten also alle möglichen Dinge, um unsere Grundbedürfnisse Schlafen, Essen, Trinken, Waschen, Mobilität und Toilette zu befriedigen. Daneben sollte es an der ein oder anderen Luxuriösität wie Spielsachen, digitale Unterhaltung und Komfort nicht mangeln. Das Ergebnis war ein übervoller Kombi mit Dachgepäckträger, auf dem zwei Fahrräder ihren Platz fanden. Als Unterkunft sollte ein 14m2 großes Tipi dienen, gekocht würde auf einem Gaskochfeld. Dusche und Toilette sollten im Camp mit eigener Kraft errichtet werden, ein Solarmodul mit starker Powerbank würde die Stromversorgung decken. Die Planung über all dies benötigte mehrere intensive Wochen: vom Zeichnen des Tipi-Grundriss über einen Grundkurs in Elektrotechnik bis hin zu großen Vorstellungen von wilden Partys, Sonnenuntergängen am Strand und ein Hippi-Leben im Paradies – das waren unsere Gedanken im Vorfeld.

Winke des Schicksals von Tag 1
Am 1. November 2022 ging die Reise los. Früh morgens um halb 7 saßen wir, F. und ich, im schwerbepackten Auto. Ich übernahm die erste Etappe der Rund 2.000 Kilometer von Freiburg nach Luzianes, Südportugal. Unser Zielort befindet sich rund anderthalb Stunden von der südlichsten Südspitze Portugals entfernt im Landesinnere, in einer Region namens Alentejo, nahe dem kleinen Städtchen Odemira. Voll gelassener Ausgelassenheit dreht ich den Schlüssel um.
Klick.
Ansonsten Stille. Das Auto wollte nicht anspringen. Das Omen überspielte ich mit gezwungener Heiterkeit. Glücklicherweise stand das Auto an einer Straße mit Gefälle und so begann die Reise mit dem Anschieben unseres Gefährts. Mit Zwischenhalten bei
Bordeaux

Mimizan,

Bilbao,
und Salamanca
erreichten wir nach fünf Tagen erfolgreicher Fahrt das Gelände bei Luzianes. Das Auto, das inzwischen auf den Namen „Sybille“ getauft wurde, hatte seit der Abfahrt keinerlei weiteren Startschwierigkeiten gezeigt. C., der Bauherr, empfing uns freundlich. Sein Gelände ist 14 Hektar groß und umfasst drei Hügel, die durch eine Straße getrennt werden. Der kleine Hügel mit dem Wohnkomplex ist direkt an der Verbindungsstraße gelegen und war gleichzeitig der Einsatzort. Wir entschieden aber, direkt auf die jenseitigen Hügel zu fahren, die wesentlich höher, steiler und wilder sind. Zunächst errichteten wir ein Provisorium mit einem Zwei-Mann-Zelt, was für rund eine Woche unsere Unterkunft blieb. Das Wetter war schön, die Sonne sehr warm, der Boden staubtrocken und steinig. Unmittelbar am darauffolgenden Montag begannen die Arbeiten am „Dach“.

Schwere Arbeit, schweres Gemüt
Es stellte sich heraus, dass den Dacharbeiten zunächst zwei Tage des fast vollständigen Niederreißens des alten Gebäudes vorangehen sollten. Zwei Tage in altem Baustaub, Öl, Stein und vermodertem Holz. Anschließend begannen wir dann, die restliche Zeit Beton zu mischen und auf den alten Mauern mit Natur- und Verbundstein neue Wände hochzuziehen, um eine Grundfläche für die Dachkonstruktion zu erhalten. Das hieß: Beton von Hand mischen, Steine schleppen, herumwuchten und aufmauern. Nach den Arbeitseinsätzen, die zwischen 5 und 7 Stunden umfassten, hieß es für uns stets: Ab auf den Hügel und zur zweiten Schicht zum Campbau. Diese Doppelschichten waren unglaublich intensiv. Wir mussten eine Ebene für unser Tipi schaufeln und begradigen, eine Unterkonstruktion bauen, das Zelt aufrichten und einen Boden einziehen. Das alles benötigte ungefähr eine gute Woche. Irgendwann Anfang Woche 2 konnten wir endlich in unser Tipi einziehen.
Die ersten zwei Wochen fühlten sich bereits wie eine kleine Ewigkeit an, da die Arbeit sehr hart und aus meiner Perspektive die Stimmung auf der Baustelle leider von Zeit- und Leistungsdruck geprägt war. Es herrschte absolute Baustellenstimmung, die ich eigentlich nach meiner Zeit als Ferienjobbler in der Elektroinstallation nicht nochmal erleben wollte. Nichts von der Leichtigkeit einer Reiseunternehmung war zu spüren, lediglich beinhartes Abenteuer mit Arbeitsstunden ohne persönlichen Mehrwert. Wir rissen Wände ein, zogen teilweise neue Wände hoch oder bauten auf den alten Grundmauern auf. Stein, Staub, Zement und Beton. Gegen Ende der ersten Woche eröffnete uns der Bauherr, dass es für ihn nicht mehr möglich sei, Mittagessen zu offerieren. Das war für mich das erste große Warnsignal.
Als wir, F. und ich, am ersten Tag der zweiten Woche mit C. das Gespräch suchten, erfolgte ein ergebnisloses stochern in der Ungewissheit. Das war für mich der zweite Warnruf. In der zweiten Woche kürzten wir die Arbeitstage, da wir von nun an das Mittagessen selbst stemmen mussten und nach erfolgreichem Errichten des Tipis weitere Lagerarbeiten für eine Duschvorrichtung, eine Küche und eine Toilette erfolgen sollten. Dann kam der Regen. Die Region Alentejo ist für seine extreme Trockenheit bekannt. Der Sommer sei für ganz Portugal sehr schwer gewesen, weil kaum Regen fiel. Als wir gerade beginnen wollten, die Außenbereiche zu gestalten, erlebten wir sehr starke Regenfälle und Sturm. Darum waren die Tage nach dem Baustelleneinsatz dann meist schon beendet. Gegen Ende der zweiten Woche war mein Limit erreicht, da Atmosphäre, Intensität, nass-feuchtes Wetter und gebrochene Abmachungen zu schwer auf mir lasteten. Im Gespräch zwischen F. und mir wurde auch ihm klar: dieses Projekt ist für uns gescheitert. Wir verließen die Baustelle und suchten den wahren Urlaub. Dafür besuchten wir die Südküste und das Meer.
Überraschungen
Die Entscheidung, die Baustelle zu verlassen, fiel uns schwer, da sich doch diese ganze Reise rund um das Bauvorhaben drehen sollte. Nun war alles anders und wir landeten zunächst in Lagos, in der Küstenregion Algarve. Dort genossen wir eine für unsere sehr stark geschrumpften Ansprüche luxuriöse Unterkunft. Es war nicht einfach, in einen unbeschwerten Autoreise-Modus zu schalten. Viel Organisation ins Blaue war nötig. So nutzte ich die Zeit und Strom aus der Steckdose, sowie Internet aus dem Router für längerfristige Reiseplanungen. Ich buchte eine ganze Woche in einem Apartment in Alvor, einem kleineren Fischerörtchen zwischen Lagos und Faro. Obwohl F. und ich sehr abgekämpft waren, wagten wir uns ins abendliche Lagos und zogen so lange unsere Spazierrunden, bis wir schließlich die Party-Ecke in Lagos entdeckten.
Anfangs fühlten wir uns seltsam fehl am Platz, weil wir aus unserer Wahrnehmung eine kleine Ewigkeit weder so viele Menschen, noch so laute Musik oder so etwas wie „Party-Machen“ erlebt hatten. Doch die Volksdroge Alkohol lockert auch angeschlagene Einsiedlergemüter und so fanden wir doch den Weg auf die Tanzfläche, lernten sogar Leute kennen und kehrten erst gegen früh morgens in unser Apartment zurück. Es müsste ziemlich am nächsten Tag gewesen sein, als mich ein unerwarteter Anruf erreichte. Dieser Anruf war Anlass genug für mich, unverzüglich meine Reise zu unterbrechen, um für eine gewisse Zeit nach Deutschland zurück zu kehren. F. war ebenso überrascht wie ich, und nachdem wir gemeinsam nach Alvor fuhren, um unsere bereits gebuchte Unterkunft zu beziehen, brachte er mich ein, zwei Tage später zum Flughafen. Erst mehr als drei Wochen später sollte er mich wieder von dort abholen.
Zwischen den Welten
Nachdem ich eine turbulente Zeit in Deutschland verbracht hatte, gabelte mich F. wieder am Flughafen in Lissabon auf. Es war ein eigentümliches Aufeinandertreffen als ich von der Zivilisation kommend wieder auf F. traf, der nach dem Kurzurlaub in Alvor doch wieder entschieden hatte, zurück zur Baustelle und in’s Tipi zu gehen. Dementsprechend war sein Zustand geprägt von Wind, Wetter und rustikaler Tipi-Atmossphäre – dazu später mehr. Noch am selben Tag hatte er C., den Bauherrn, ebenfalls zum Flughafen gebracht; und so fuhren wir gemeinsam wieder zurück zum Gelände bei Luzianes, wo wir, da der Bauherr für längere Zeit nicht anwesend sein würde, dessen Tiny-Home beziehen durften. Nicht nur der kurze Ausflug in den zentraleuropäischen Winter, sondern auch das Hin- und Her zwischen den beiden Ländern war durchaus eine mittelschwere Konfusion für meine Wahrnehmung und eine Belastung für meinen Körper, da ich mich nun plötzlich wieder in Portugal befand. Da wir auf dem Baugelände sehr abgeschieden und zu zweit lebten, konnte ich nur bei Einkaufstouren und dergleichen wirklich wahrnehmen, dass ich jetzt auch tatsächlich wieder in einem anderen Kulturkreis unterwegs war.
Dies alles und die Grippe-Welle in Deutschland, in die ich hineingeraten war, schickte mich zunächst für anderthalb Tage mit einer Erkältung ins Bett. Die nächsten drei, vier Tage hatte ich mit verschiedenen kleineren bis mittleren Symptomen zu kämpfen. Und so erlebte ich mein erstes Weihnachten fernab der Familie und noch dazu in kränklichem Zustand. Das und die völlig neue Reise-Situation, in der ich mich nun wieder befand, erschwerte es für F. und mich, wieder eine gesunde Zweier-Dynamik aufzubauen. Außerdem hatten wir Zuwachs bekommen: drei Pferde haben für die Zeit, die wir gemeinsam auf dem Gelände im Tiny-Home verbrachten, einen gewissen Teil unserer Aufmerksamkeit gebannt. Wir verlebten ein paar Wochen gemeinsam im kleinen Haus auf dem großen Gelände, das wir nun lediglich mit drei lebhaften Pferden teilten.

Die Tage waren für mich vom einfachem Leben in einem abgelegenen kleinen Paradies geprägt. Die Zeit des Starkregens war inzwischen vorüber und so ließ sich der portugiesische Winter bei angenehmen 15-17 °C, Sonnenschein und viel blauem Himmel gut verleben. Hier ein kleiner Einblick:

Der Koch- und Essbereich des kleinen Häuschens; gekocht wurde mit Gas

Der Schlafbereich

Die Terrasse

Strom generierten wir über ein Solarpanel mit leistungsstarker Powerbank

Die „Regenwasser-Dusche“ und die Kompost-Toilette

Unser Brunnen für Trinkwasser

Das Brunnenwasser filterten wir vor dem Verbrauch mit einer speziellen Anlage
In dieser Zeit kristallisierte sich jedoch zunehmend heraus, dass F. und meine Vorstellungen des weiteren Reiseverlaufs zu weit auseinander lagen. Nach einem sehr besonderen Silvester, das wir aus eher pragmatischen Gründen in Faro verbrachten, stand für mich fest: Meine Reise geht alleine weiter.

Die Odyssee endet
Erneut stand eine schwere Trennung an, die kurz nach Neujahr ebenfalls auf dem Bau-Gelände stattfand. F. und ich lösten auf meine Initiative hin die gemeinsame Reiseunternehmung auf. Wir einigten uns, dass ich das Auto übernehme und dafür einiges Gepäck im Auto mitnehmen würde. Parallel zum Packen und Beladen des Autos suchte ich intensiv nach einem neuen Ort, wohin ich gehen könnte. Ich spielte sogar mit dem Gedanken, einfach den Heimweg anzutreten. Aber dann erhielt ich eine Antwort von einem sehr interessant klingenden Projekt nördlich von Lissabon:

Nach kurzer, knapper Recherche und einer wohlformulierten Anfrage über die Plattform wwoof.pt bekam ich eine Antwort von Jorge Venceslau, dem Gründer und Kopf des Unternehmens, führte anschließend am Freitag dem 6. Januar mit ihm ein angenehmes Telefonat, woraufhin ich mich am darauffolgenden Montag mit Sybille, unserem silbernen Kombi, in Richtung Lissabon aufmachte. Was mich dort genau erwartete, war mir nicht so recht klar. Ich wollte vor allem los, weiter, etwas Neues sehen, erleben und auf eigene Faust losreisen. Welches Glück ich damit hatte, wurde mir erst klar, als ich bei Jorge angelangt war.
Ende Teil 1.
von Marco Lo Voi
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