Reisebericht Teil 2: Portugal – Wege zur Erkenntnis

Ankunft im Paradies

Über einen kleinen Kiesweg ging es zwischen Weinreben und grünen Wiesen mitten in die Pampa hinein, bis ich vor einem geschlossenen Hoftor angelangt war. Ich kontaktierte Jorge und kurze Zeit später schwang das Tor geräuschlos auf. Große Spannung überkam mich dabei. Ich rollte mit Sybille auf den Vorplatz des Hauses, wo ich bereits erwartet wurde. Lässig gekleidet in Jogginghose und mit einer herzlichen Umarmung begrüßte mich Jorge am kleinen Gartentörchen des großen Hauses, das inmitten von Weinbergen im Zentrum des portugiesischen Nordens etwa 45 Minuten von Lissabon entfernt in abgeschiedener Lage steht.

Die Zeit vor meiner Entscheidung, mich alleine auf den Weg zu machen und die morgendliche Autofahrt von der Region Alentejo bis in die Region Santarem steckte mir noch schwer in den Knochen, doch Jorge nahm mich direkt bei der Hand. Mit den Worten „Dieses Gartentörchen muss stets hinter dir geschlossen werden, um dein „altes Ich“ draußen zu lassen und in ein neues Leben einzutreten“, führte er mich durch den Vorgarten in das Anwesen. Er begann sofort mit der Führung durch das für meine Verhältnisse große Haus. Mit noch wirrem Kopf konnte ich im ersten Moment nicht so recht realisieren, wo ich eigentlich angekommen war:

Eingangsbereich und Zentrum des Hauses
Küche und Essbereich
Mein Zimmer
Zimmer der Klienten
Sportbereich im Keller
Gewächshaus
Terrasse
Feuerstelle
Gemüsebeete

Das Haus wurde nach den Grundlagen des Feng-Shui erbaut. Die massiven Mauern wurden eigens für das Projekt aus Erde und Holzfasern hergestellt, lediglich das Fundament besteht aus Beton. Es gibt keine elektrischen Leitungen in den Wänden, diese verlaufen alle im Keller am Fundament entlang zu den einzelnen Räumen. Geheizt wird nur mit Holzöfen. Das ganze Haus hat ein offenes Belüftungssystem und fast ausschließlich runde Wände. Das macht das Wohnklima sehr angenehm.

Nach der Führung nahmen wir einen Kaffee und setzten uns auf die Terrasse. Dort erzählte mir Jorge von seiner Arbeit, was und für wen dieses Anwesen eigentlich ist, wie er dazu kam und vieles mehr. Mein Gastgeber Jorge Venceslau ist Psychotherapeut mit 25 Jahren Berufserfahrung. Nach einer langen Zeit als Interventions-Therapeut mit Kunden auf der ganzen Welt hatte er beschlossen, in seiner Heimat Portugal wieder Wurzeln zu schlagen und dieses Zentrum aufzubauen. Er möchte weg von der klassischen Psychotherapie, die wie die Schulmedizin auf ein materialistisches Weltbild aufbaut. Er möchte mit Menschen, die Suchtkrank, depressiv oder suizidal sind, gemeinsam wieder den Kontakt zur Natur, einem gesunden Lebensrhytmus, ihrem wahren Selbst und einer biologischen Ernährung suchen. Dies bewerkstelligt er neben klassischer Gesprächstherapie mittels Abenteuerpädagogik, Gartenarbeit, angeleiteten Meditationen und Motivationspraktiken. Leicht überfordert mit all den Eindrücken und Informationen kochte ich im Anschluss für uns etwas zu essen. Danach musste ich mich erst einmal zur Ruhe begeben und den Luxus meines eigenen kleinen Badezimmers genießen.

Das Gesetz der Anziehung

Abends setzten wir uns gemeinsam an den Kamin im Wohnzimmer und er erzählte mir mehr über die therapeutischen Grundlagen, seine Vergangenheit und den Brückenschlag zwischen Spiritualität und Wissenschaft. Im Gespräch erläuterte ich auch meine eigene Geschichte und meine Ansichten zu diesen Themen. Schnell wurde mir klar, dass ich mich auf meine Weise in meinem Leben mit denselben Dingen schon intensiv auseinandergesetzt hatte und Jorge präsentierte mir nun einen Ansatz, der all diese Dinge unter dem Dach der Persönlichkeitstherapie vereinte. Was ich genau meine, werde ich in einem gesonderten Beitrag erläutern, darum möchte ich hier nur auf einen bestimmten Aspekt eingehen. Jorge sprach auch vom „law of attraction“.

Mein noch müder und überforderter Geist konnte auf Grund der Sprachbarriere nicht immer gleich alles, was wir besprachen, voll aufnehmen. Doch irgendwann verstand ich, dass er vom hermeneutischen „Gesetz der Anziehung“ sprach und das empfand ich eben genauso! Noch im Süden in meiner etwas verzwickten Lage feststeckend wünschte ich mich sehnlichst einen Ort, an dem ich häuslichen Routinen nachgehen und zugleich Geisteshygiene durch Meditation und körperlicher Arbeit betreiben konnte. Außerdem kam beschloss ich für mich, nach meiner Reise eine Therapie aufzusuchen, um die Themen, die auch bei mir persönlich an die Oberfläche brodelten, zu bearbeiten. Nun, da ich dort am Kamin mit Jorge sprach, wurde mir klar, dass genau diese Wünsche, die ich auf dem Gelände im Süden hinausgesendet hatte, allesamt an diesem neuen Ort erfüllt schienen. Und das fühlte sich ziemlich überwältigend an. Was genau meine Aufgaben nun sein würden, das vertagten wir auf den nächsten Morgen, denn mein Geist war für diesen ersten Tag mehr als angefüllt.

Meine Aufgaben und Projekte

Kurz nach Sonnenaufgang und einem ersten Kaffee vervollständigten wir den Rundgang und Jorge führte um das Haus herum, teilte seine Visionen mit mir und erläuterte mir meine Aufgaben und Möglichkeiten. Die Hauptaufgabe für mich bestand darin, die beiden Zimmer mit den vier Betten für die neuen Klienten, die in den nächsten Wochen kommen sollten, vorzubereiten. Dies bedeutete neben Aufräum-, Putz- und Organisationsarbeiten das Waschen, Sichten und Ordnen der Bettwäsche und Handtücher für die Klienten. Für diese Aufgaben steckte er mir den groben Rahmen von ungefähr einer Woche. Wie und wann ich diese Arbeiten erledige, überließ er vollständig mir und meiner Organisation. Daneben zeigte er mir verschiedene Möglichkeiten auf, eigene Projekte rund um das Haus anzugehen.

Das Haus sollte ein Ort sein, der durch seine Gäste fortlaufend transformiert und entwickelt wird. Ich entschied mich für das Entwerfen und Umsetzen eines Kiesweges vom Vorplatz zum Gewächshaus. Da ich gerne körperlich hart arbeiten und mich zugleich kreativ und produktiv ausleben wollte, war der Kiesweg ein herausforderndes und zugleich symbolisches Ziel für meinen Aufenthalt. In den freien Sonnenminuten verbrachte ich deswegen viele Stunden damit, die lockere Erde mit Gartenwerkzeugen umzugraben und mit den großen und kleinen Steinen, die ich aus der Erde zog, einen Weg zu ebnen. Die Arbeit war ein hervorragender Ausgleich neben den häuslichen Tätigkeiten und zugleich entstand dabei ein schöner Ort, der zwei Teile des Geländes zukünftig miteinander verbinden würde. Nachdem ich die Plastikbahn mit Steinen gesäumt hatte, wurde der Weg mit weißem Kies aufgefüllt. Nach ungefähr anderthalb Wochen war das Projekt verwirklicht:

Die Kraft des Lichts

Nachdem Jorge und ich einen gemeinsamen Einkauf erledigt hatten und er sich vergewissert hatte, dass es mir an nichts fehlen würde, vertraute er mir das komplette Haus an und ging für ein paar Tage nach Lissabon. Somit war ich völlig alleine. Die einzigen anderen Menschen, die ich in diesen Tagen sah, war ein älteres Ehepärchen, das in ihren Reben auf einem entfernten Hügel arbeitete und denen ich morgens zuwinkte. Ansonsten konnte ich meine gesamte Energie auf mich und die überschaubaren Aufgaben im Haus konzentrieren.

Mein Projekt und die Hausarbeiten entwickelten sich aber mehr und mehr zum Rahmen für die eigentliche Arbeit, die ich an mir selber verrichtete. Nach nur zwei Tagen klingelte mein Wecker um viertel nach Sieben, sodass ich noch vor Sonnenaufgang meinen ersten Kaffee trinken konnte. Anschließend setzte ich mich auf die Terrasse, um mit dem Sonnenaufgang zu meditieren. Dabei wendete ich eine Mischung aus der Wim-Hof-Atmung und einfacher Achtsamkeitsmeditation an. Anschließend näherte ich mich Tag für Tag der Meditationstechnik, mit der Jorge arbeitete und webte im Zuge meines Erkenntnisprozesses weitere Elemente in meine morgendliche Routine mit ein, wie eine spezielle Atemtechnik, auf die ich in einem gesonderten Beitrag näher eingehen möchte.

Der Feierabend wurde ebenfalls von der Sonne eingeleitet. Sobald sie hinter dem Hügel verschwand, legte ich die Arbeiten nieder, entzündete den Kamin im Wohnzimmer und bereitete auch den Kamin in meinem Zimmer vor, um ihn gegen Abend für die Nacht einzuheizen. So verbrachte ich bei Kaminfeuer die Abende mit Kochen, Aufräumen und der Theorie hinter der Meditationstechnik und dem Motivationstraining, also den zwei Säulen, auf die Jorge seine Arbeit stützte. Natürlich gab es auch Abende, an denen Jorge und ich gemeinsam am Kamin saßen und über viele Themen, meine Fragen zu den Theorien und seine und meine Erfahrungen sprachen. Alles wurde stets begleitet von der Kraft des Lichts.

Besondere Momente

Am ersten Wochenende unternahm ich eine Radtour nach Rio Maior, wo Meersalz gewonnen wurde. Dafür radelte ich ungefähr fast 40 Kilometer durch das ländliche Nordportugal und traf zwei super kuschelige Esel, sah viele Zitronen- und Orangenbäume und besichtigte die wenig aufregende „Salina“ bei Rio Maior. Am darauffolgenden Sonntag besuchte ich noch einen lokalen Wochenmarkt mit Namen „Santana Market“, der sehr traditionell ist und fast ausschließlich von Einheimischen betrieben wird. Dort konnte man von lebendigen Hühnern und anderem Getier, über Regenschirme, Brot, T-Shirts, getrockneten Datteln und Gartengeräten so ziemlich alles käuflich erwerben, was man sich vorstellen kann.

Als die Zimmer für die Klienten soweit hergerichtet waren, kam kurze Zeit später der erste Gast an. Im Grunde änderte sich an meiner täglichen Routine dadurch recht wenig, außer der Anwesenheit einer weiteren Person und des leicht veränderten Auftretens von Jorge, da er nun „den Therapeuten“ gab. Zusammen mit R. aus Angola gestalteten wir nun die Tage, indem jeder früh morgens seiner Routine folgte und wir uns dann gegen halb 9, 9 Uhr zur gemeinsamen Morgenübung zusammenfanden. Anschließend besprachen wir den weiteren Tagesablauf. Wir kochten gemeinsam, unternahmen lange Spaziergänge und ich ging weiter meinen Aufgaben nach, während R. und Jorge gelegentlich intensive Zweiergespräche führten, wenn R. sich dafür bereit fühlte.

Auch kultureller Austausch gehört mit zum Therapieprogramm und so besuchten wir den Nachbarort, als dort eine traditionelles Chorizo-Fest abgehalten wurde. Das Fest bestand aus einem Gottesdienst und anschließender Chorizo-Versteigerung, bei der die Einwohner mehr aus Spaß als im Ernst Angebote für Würste abgaben und eine nach der anderen durch den Auktionator auf diese Weise „versteigert“ wurde. Die grobe, würzige Wurst mit Namen „Chorizo“ und der Wein sind regionale Produkte, auf die die Einheimischen sehr stolz sind. Nach der Auktion führte eine lokale Musiktruppe die Leute durch die örtlichen Bodegas, kleine Stuben der örtlichen Weinbauern, in denen dann Wein getrunken und die ersteigerten Chorizos gemeinsam gegrillt wurden.

Als großen Abschluss meines zweiwöchigen Aufenthalts bei Jorge besuchten wir gemeinsam den Küstenort „Nazare“, der für seine Riesenwellen bekannt ist. Genauer gesagt ist Nazare der Ort, an dem die weltgrößten Wellen gesurft werden können:

Wir spazierten an der Strandpromenade entlang, wurden von Jorge zu einem traditionellen Fischessen eingeladen und besichtigten den berühmten Aussichtspunkt, von wo aus die Riesenwellen beobachtet werden können. Leider war an diesem Tag das Meer eher ruhig.

Viele Erkenntnisse und noch mehr Fragen

Die knapp zwei Wochen auf der Quinta „Fonte da Moura“ haben zum einen meinen aufgewühlten Geist wieder zur Ruhe gebracht, in mir viele Fragen über meine nahe und ferne Zukunft aufgeworfen und mir zugleich wertvolles Werkzeug an die Hand gegeben, um diese Zukunft aktiv zu gestalten. Ich konnte für mich klären, was in mir die Unruhe der vorangegangen Reisezeit auslöste, wo meine Fehler lagen und wo ich bereits auf dem richtigen Weg war. Zudem hinterfragte ich noch tiefergehend meine eigene Vergangenheit, meine Erziehung und meine Beziehungen zwischen mir und meinen Mitmenschen und erfasste noch genauer, was ich vorher schon durch meine eigenen Studien über das Leben geahnt hatte. Alles das, womit ich mich seit über zehn Jahren beschäftigte, fügte sich plötzlich zusammen und erzeugte in mir eine neues Level an Selbstsicherheit und Kraft. Wie das genau vonstatten ging, verrate ich euch in einem weiteren Beitrag.

Gerne hätte mich Jorge noch länger als Gast bei sich gehabt. Auch ich hätte mich gefreut, wenn es meine Situation zugelassen hätte, länger dort bleiben zu können. Allerdings rief es mich nach Hause. Zudem erwartete mich eine einsame und lange Reise von Lissabon nach Freiburg. Ich hatte meine Reiseroute schon durchgeplant und beschlossen, insgesamt vier Zwischenhalte zu machen, bis ich das Auto wieder in Freiburg abstellen würde. Meine Reiseroute würde mich zunächst nach Lissabon und dann von dort über Madrid nach Barcelona führen. Anschließend würde ich von dort Richtung Norditalien reisen und schließlich zu meiner Mutter nach Waldshut-Tiengen und dann über den Schwarzwald bis nach Freiburg reisen. Was mir auf dieser Reise widerfahren ist, erfahrt ihr im nächsten Beitrag.

Ende Teil 2.


von Marco Lo Voi

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