Tag 10 – Die Mutter der Studentenstädte
„Gegen Abend rettete ich mich endlich aus dieser alten, ehrwürdigen Stadt, aus der Volksmenge, die in den gewölbten Lauben, welche man fast durch alle Straßen verbreitet sieht, geschützt vor Sonne und Witterung, hin und her wandeln, gaffen, kaufen und ihre Geschäfte treiben kann.“
– Goethe, Bologna, 18. Oktober 1787, nachts
28.06.’18
09:50 Uhr, Bologna
Nachdem ich gestern zwei Stunden im Park gewartet hatte, wartete ich eine weitere halbe Stunde vor besagter Adresse. Dort empfing mich ein freundlicher Italiener Ende 20. Er führte mich in meinem neuen Heim herum. Ich habe hier außerdem zwei Mitbewohner: zwei Männer mittleren Alters, die auf dem Markt arbeiten – sehr entspannte Zeitgenossen, habe sie gestern Abend kennengelernt – ansonsten ist alles vorhanden, von Bad über Küche und mein Zimmer ist fast schon zu groß.
Schließlich unterhielt ich mich kurz mit meinem Gastgeber über unsere Studienfächer. Er studiert Krankenpflege – ja sowas gibt es in Italien als Studienfach. Anschließend drückte er mir einen dicken Schlüsselbund in die Hand für die zahlreichen Schlösser an der Tür. Ich bedankte mich, erfrischte mich im Bad und packte meine Sachen.
Wie ein Zeus’scher Feuerblitz, der mit Göttergewalt vom Olymp geschleudert wird, schoss ich los, um Bologna zu erkunden. Ich hatte mir bereits einige Orte auf der Karte markiert und so steuerte ich zuallererst Richtung Universität. Ich gelangte an die Fakultät für Physiologie und Erziehungswissenschaften. Die Herbarien waren aber leider nur für Studenten zugänglich. Ich stolperte über einen Campus und erspähte zahlreiche Studenten, wie sie sich hie und da Studentengesprächen hingaben.
Die Gebäude waren teilweise ziemlich alt und erhaben. Ich gelangte mehr aus Zufall dann in den Teil der Altstadt, der ausschließlich universitär genutzt wird. Vor mir tat sich ein Paradies auf. Eine Unzahl an jungen Menschen, zu Fuß und mit dem Rad unterwegs, zwischen uralten Mauern, Geschäften und Fakultätsgebäuden.
Mit leuchtenden Augen tastete ich jeden Zentimeter der Fassaden ab. Zunächst musste ich jedoch essen. Für 5€ gab es hier einen in meinen Augen kleinen Teller Spaghetti Vongole e Cozze mit Getränk, zwar überschaubar, doch super günstig und lecker. Während ich da saß, zogen Heerscharen an bunten Menschen, und dazwischen Touristen, an mir vorbei.
Das Teatro Communale bildet das Herzstück dieses Stadtteils, wo zudem eine mittelgroße Piazza angelegt wurde, auf der sich weitere Cafés, Copyshops, Büchereien und Bars, eben alles was ein Student benötigt, aneinanderreihen. Direkt gegenüber der Fakultät für Rechtswissenschaften prangte ein großes, noch viel älteres Gebäude, das sich als Tempio di San Giacomo Maggiore auswies.
So betrat ich das erste Mal ein geistliches Gebäude in Bologna. Bei diesem Anblick musste ich unbewusst den Hut lüften. Fotos waren keine gestattet und ich respektiere solche Gebote. In diesem Falle kam es mir doppelt zugute.
Zwei Damen mittleren Alters saßen bereits drinnen und eine der beiden hielt, gleich einer Standarte der Ignoranz, ihr Smartphone mittels Selfiestick hoch erhoben. Die andere Protagonistin in dieser Episode war eine alte Dame, die alleine an einem Stand im Inneren der Kirche Andenken und dergleichen verkaufte.
Als sie dieses das Handy sah, lief sie entschlossen und mit ernstem Blick auf die Frevlerin zu. „No foto!“ keifte sie der Dame ins Gesicht, die sichtlich irritiert reagierte. Die Alte wies sie in hitzigem Italienisch darauf hin, draußen hinge ein sehr deutliches Schild. Die Übeltäterin tat so, als würde sie kein Wort verstehen. Zu allem Überfluss sagte sie, sie würden aus Spanien kommen und deshalb nichts versehen.
Da brauste die Alte auf und sagte, wenn sie sich etwas anstrengen würde, dann verstehe sie schon was die Alte hier meinte. In der Tat, sogar ein nepalesischer Reisbauer würde verstehen, was die Alte hier deklamierte. Als ihr Ärger verraucht und der Dame ihre nichtssagenden, wirren Gesten ausgegangen waren, schlurfte die Alter wieder dienstbeflissen hinter ihren Stand.
In diesem Tempel waren riesige Ölgemälde in Kapellen an den Seitenwänden angebracht. Die meisten davon aus dem 16. Jahrhundert. Trotz des Alters leuchteten die Farben wie eben erst gepinselt und die Gesichtszüge der Dargestellten wirkten wie fotografiert. Ich übte mein Auge für Details und bestaunte ein Gemälde, das eine Szene zeigte, in der muskelbepackte Männer im Angesicht des Heiligen Geistes übereinander stolperten, der durch eine weiße Taube symbolisiert wird, die über ihren Köpfen schwebt.
Die Muskelpartien waren durch die bunten Leiber der Krieger so detailliert herausgearbeitet, dass ich mich kurz bei dem Gedanken ertappte ein Foto machen zu wollen. Allerdings saß der Drachen genau in meinem Rücken und so wagte ich es nicht, eine bereits schwelende Glut erneut zu entfachen.
Durch die Altstadt schlendernd, besichtigte ich eine weitere Kirche, die ebenfalls pompös ausgearbeitet und mit Heiligenbüsten, -statuen und -gemälden, Fresken, Wandmalereien und aufwendiger Stuckatur verziert war. Es handelte sich um die Kirche St. Barthlomeo.
Die Altstadt Bolognas ist dichter mit Kirchen übersät als eine thailändische Großstadt mit „7-elevens“. Ich ging wahllos in eine Weitere hinein, die ebenfalls übermäßig kunstvoll und vor Pomp platzend ausgearbeitet war. Dies bestätigte meinen Verdacht, dass wohl alle Kirchen so krass waren, also ließ ich die Kirchen, Kirchen sein.
Ohnehin sind Kirchen mittlerweile mehr ein Ort der Geldmacherei geworden. Für bestimmte Teile muss man, um eintreten zu dürfen, teils bis zu 3€ bezahlen. Für 50Cent kann man Bilder und Altäre beleuchten lassen, elektronische Kerzen für einen Euro zum Leuchten bringen und Andenkenstände gibt es auch in fast jedem heiligen Gebäude. Rechte auf Bildermachen kann man ebenfalls käuflich erwerben und die obligatorischen Spendenkassen sind sowieso anwesend.
„Der hängende Turm ist ein abscheulicher Anblick, und doch höchst wahrscheinlich, daß er mit Fleiß so gebaut worden. Ich erkläre mir diese Torheit folgendermaßen. In den Zeiten der städtischen Unruhen ward jedes große Gebäude zur Festung, aus der jede mächtige Familie einen Turm erhob. Nach und nach wurde dies zu einer Lust- und Ehrensache, jedoch wollte auch mit einem Turm prangen, und als zuletzt die geraden Türme gar zu alltäglich waren, so baute man einen schiefen. Auch haben Architekt und Besitzer ihren Zweck erreicht, man sieht an den vielen graden schlanken Türmen hin und sucht den krummen.“
– Goethe, Bologna, 18. Oktober 1787, nachts.
Ich erblickte die beiden Torri di Bologna in der Innenstadt. Was auf Goethe „abscheulich“ wirkte, erscheint heute bestenfalls als eigentümlich. Wie eine seltsame Hommage an den Schiefen Turm von Pisa ragt der eckige Wehrturm Bolognas mit abenteuerlicher Neigung in den Himmel.
Die Wirkung ist nicht zu knapp, denn daneben ragt der Bruder des schiefen Scheusals ebenfalls weithin sichtbar über die Dächer der Stadt, jedoch steht dieser kerzengerade. Die Theorie des großen Geistes ist ähnlich seiner Wettertheorie zwar durchaus kreativ, aber gleichsam recht abenteuerlich, jedoch kann ich auch hierfür keine astreine Korrektur liefern.
Ich bog in die Strada del Jazz ein und gelangte mit schmerzenden Kniekehlen und durchgelaufenen Gelenken auf die Piazza Maggiore. Ich besichtigte außerdem die große Basilica die St. Perroino, die offensichtlich das touristische Hauptziel Bolognas ist. Der gigantische Saal wurde mit virtuoser Orgelmusik beschallt, die zwar die herrliche Akustik demonstrierte, aber eher nervtötend war. Bereits übersättigt und nicht wirklich überwältigt, ging ich wieder hinaus.
Ich besichtigte die Stadtbücherei, die mir ebenfalls nicht sehr zusagte. Der Hunger zitierte mich gegen 18:00 Uhr wieder Richtung Studentenstadtteil. Ich schleppte mich in eine Bar, trank ein Feierabendbier und nahm eine Pizza. So langsam ging auch der studentische Abendrummel los und da ich ein bisschen feiern wollte, eilte ich heim, um mich zu erfrischen.
Ich fragte meinen Gastgeber nach einer Party und er gab mir eine Adresse in der Innenstadt. Erfrischt und im Studentendress ging es bewaffnet mit zwei Bieren los. Ich verirrte mich einmal grob und einmal nur ein wenig. Schließlich gelangte ich an.
Wie ich gegen Ende erfuhr, handelte es sich bei der Adresse um ein von einer linken Bewegung, die sich Labas nennt, besetztes Gebäude, wo regelmäßig Festivitäten stattfinden. Der Innenhof des Gebäudes füllte sich bis um Mitternacht immer weiter mit jungen Menschen.
Ein Duo bestehend aus einem MC und einem DJ an einer SP404 und einer Drummachine sorgten für die musikalische Unterhaltung. Der DJ hatte es richtig drauf und so verbrachte ich den Abend damit, seinen Künsten zuzuschauen.
Gegen 24:00 Uhr wurde die Musik abgeschaltet. Das passte mir ganz gut, da ich völlig fertig war. Also schleppte ich mich halb humpelnd, halb schwankend mit Wegbier nachhause.
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